2000-72

I. Ausgangslage


1. Schaffung des Besonderen Untersuchungsrichteramtes im Bereich der Wirtschaftskriminalität und des organisierten Verbrechens (Kurzformel BUR)


Seit letztem Jahr (16. Juni 1999) werden auf dem BUR Strafuntersuchungen im Bereich der Wirtschaftskriminalität und des organisierten Verbrechens durchgeführt. Im Rahmen des Konzeptes zur erweiterten Kriminalitätsbekämpfung soll der Personalbestand bei der Polizei Basel-Landschaft bis 2004 sukzessiv um 40 Stellen erhöht werden.


Diese Massnahmen zur Bekämpfung der Kriminalität sind erfolgreich. Der erste grosse Fall (Transfer-Fall, der Auslöser der Justizaffäre war) des BUR wird im Mai oder spätestens Juni 2000 am Strafgericht angeklagt werden. Weitere grosse, d.h. aufwendige und komplizierte Fälle werden zur Zeit vom BUR noch untersucht und kommen in diesem Jahr und den folgenden Jahren zur Anklage.




2. Neue Strafprozessordnung (abgekürzt StPO) in Kraft seit 1.1.2000


Die neue StPO führt zu einer Verschiebung eines Teils der Arbeitslast vom Strafgericht auf die Statthalterämter (Strafbefehlskompetenz bei Straftaten, wenn eine Busse oder eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als 3 Monaten ausgesprochen werden soll). Andererseits werden die ehemals polizeigerichtlichen Kompetenzen der Bezirksgerichte (Übertretungsstrafrecht) auf das Strafgericht übertragen.


Gestützt auf die Zahlen der letzten fünf Jahre sehen diese Auswirkungen - rein zahlenmässig - wie folgt aus:


Die StPO bringt somit - gestützt auf die jetzt bekannten Zahlen - eine Zunahme von rund 190 Fällen pro Jahr. Dabei ist zu beachten, dass die neu hinzu kommenden Polizeigerichtsfälle in der Regel Übertretungstatbestände sind, die in der Bearbeitung nicht gleich aufwendig sind wie die "angestammten" Strafgerichtsfälle. Zu berücksichtigen ist auch, dass mit der Erweiterung der Strafbefehlskompetenz von 1 Monat Haft (alte StPO) auf 3 Monate Gefängnisstrafe (neue StPO) auch eine Entlastung des Strafgerichts eintreten wird.


Aufwendiger sind nach der neuen StPO aber die Haftfälle. Die regelmässigen Haftüberprüfungen führen zu einer Mehrbelastung vor allem des Instruktionspersonals. Ebenso führen die neuen verfahrensrechtlichen Bestimmungen zu einem höheren Aufwand der Instruktionsarbeit (z.B. prozessleitende Verfügungen und Zwischenentscheide).




3. Zusammenfassung


Das Strafgericht hat sich neu mit komplexen Fällen der Wirtschaftskriminalität und des organisierten Verbrechens zu befassen. Fälle, die bisher aufgrund der fehlenden Ressourcen nicht im gleichen Rahmen untersucht und angeklagt werden konnten. Ob die neue StPO insgesamt zu einer Entlastung des Strafgerichts führt, kann zur Zeit noch nicht abgeschätzt werden. Im Laufe des nächsten Jahres wird es sich zeigen, ob sich die Entlastung oder die zusätzlichen Aufgaben stärker auswirken werden.




II. Aktuelle Problemstellung


Nach wie vor sind am Strafgericht rund 100 altrechtliche Fälle zu bearbeiten. Gleichzeitig gehen schon die Fälle nach neuer StPO beim Strafgericht ein. Diese bedeuten, soweit es sich um Verbrechens- oder Vergehenstatbestände handelt, aufgrund der verfahrensrechtlichen Bestimmungen (z.B. Haftüberprüfungen) einen grösseren Aufwand und erheblicheren Zeitdruck in Haftfällen (§ 78 Abs. 2 lit. b StPO: die Untersuchungshaft darf nicht länger dauern als die Hälfte einer zu erwartenden unbedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe oder einen Drittel einer zu erwartenden bedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe) als bisher für das Strafgericht.


In diese arbeitsintensive Übergangszeit fällt nun die Anklage des umfangreichen Transfer-Falles. Es handelt sich dabei um ein Verfahren mit ca. 25 Beteiligten. Aufgrund der Grösse und Komplexität des Falles wird die Überweisung an das Strafgericht in 5 "Tranchen" erfolgen. Der gesamte Aktenumfang des Transfer-Falles wird sich auf ca. 100 Bundesordner belaufen. Der damit zusammenhängende Gesamtaufwand für das Strafgericht wird voraussichtlich über 2 Jahre beanspruchen.


Weiter werden schon per Ende 2000 sowie in den Jahren 2001 und 2002 zusätzlich mehrere weitere grosse Fälle des BUR an das Strafgericht überwiesen werden, darunter auch Nachfolgeverfahren des Falles "Cosco".


Mit dem aktuellen Personalbestand können der Transfer-Fall, die weiteren BUR-Fälle sowie die verfahrensrechtlich aufwendigeren Fälle nach neuer StPO vom Strafgericht nicht in einem vernünftigen und rechtsstaatlich gebotenen Zeitrahmen beurteilt werden.




III. Lösungskonzepte


1. Kurz- und mittelfristige Massnahmen


Grundsätzlich ist geplant, genau zu untersuchen, ob sich die Entlastungen der neuen StPO (Verschiebung von Kompetenzen und plea bargaining gemäss § 137 ff. StPO) und die neuen Aufgaben (polizeigerichtliche Fälle und zusätzliche Verfahrensvorschriften) sich die Waage halten, wobei jedenfalls zusätzlich eine regelmässige Belastung des Strafgerichts durch grosse BUR-Fälle erwartet werden muss. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen wird für die neue Amtsperiode ein fundierter definitiver Antrag an den Landrat betr. Zahl der Gerichtsmitglieder gestellt werden. Da die ersten BUR-Fälle nun früher und umfangreicher als erwartet zur Anklage kommen, kann die neue Amtsperiode nicht abgewartet werden. Es bestünde die Gefahr, dass einerseits angeschuldigte Personen gemäss § 78 Abs. 2 lit. b StPO aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen und dann untertauchen. Andererseits müssen alle Verfahren innerhalb der Verjährungsfristen entschieden werden. Eine Überlastung des Strafgerichts hätte zur Folge, dass dies nicht mehr gewährleistet wäre.


Das Obergericht betrachtet deshalb als kurz- bzw. mittelfristige Massnahme die Schaffung eines ao. Strafgerichtspräsidiums und die Wahl weiterer 7 ao. Strafrichterinnen und -richter per 1. August 2000 bis zum Ende der Amtsperiode als notwendig. Die zusätzliche Präsidiumsstelle ermöglicht, dass der normale Geschäftsgang des Strafgerichts unbelastet von den grossen BUR-Fällen weiterläuft. Die Wahl der ao. Strafrichterinnen und -richter bedeutet, dass eine Aufstockung des Richtergremiums im Hinblick auf die BUR-Fälle vorgezogen wird. 6 der ao. Richterinnen und Richter sollten sich deshalb idealerweise über folgende qualifizierte Kenntnisse ausweisen: Wirtschafts- oder Buchhaltungs- oder Informatikkenntnisse oder Kenntnisse im Bereich der organisierten Kriminalität. Allein mit den ordentlichen Mitgliedern des Strafgerichts kann diese enorme Arbeitslast nicht bewältigt werden. Die nebenamtlichen Richterinnen und Richter stehen auch im Berufsleben und können neben den tageweisen Absenzen von ihrem Arbeitsplatz nicht auch noch während mehreren mehrwöchigen Verfahren von ihrem angestammten Arbeitsplatz fernbleiben.


So ist gewährleistet, dass das Strafgericht durch die übergangszeitliche Kumulierung der Aufgaben und die BUR-Verfahren nicht in Rückstand mit der Bearbeitung der Fälle gerät. Weiter kann in dieser Zeit fundiert abgeklärt werden, welche mittel- und langfristigen Massnahmen zu treffen sind.




2. Mittel- und langfristige Massnahmen


Diese Massnahmen sind unabhängig von der Durchführung der letzten Phase der Justizreform. Dort geht es im wesentlichen um die Zusammenlegung der beiden obersten Gerichte des Kantons.


Bis Ende dieses Jahres sollten die 100 altrechtlichen Verfahren durch das Strafgericht behandelt sein. In der ersten Hälfte des Jahres 2001 werden die Auswirkungen der neuen StPO, der Schaffung des BUR sowie der Erhöhung des Personalbestandes bei der Polizei und bei den Statthalterämtern auf das Strafgericht untersucht und analysiert. Aufgrund dieser Abklärungen wird gegen Ende 2001 eine Bilanz gezogen und dem Landrat die definitiv zu treffenden langfristigen Massnahmen unterbreitet.


Ein weiteres Problem, das mittel- bis langfristig gelöst werden muss, ist das Raumproblem. Die Gerichte und die Untersuchungsgefängnisse platzen aus allen Nähten. Zur Zeit wird seitens des Hochbauamtes in Zusammenarbeit mit der Justiz-, Polizei und Militärdirektion und den Gerichten geprüft, ob ein geeignetes Gebäude gebaut werden kann, in dem das Strafgericht, die Staatsanwaltschaft und ein Untersuchungsgefängnis untergebracht werden können.




IV. Finanzielle Auswirkungen


Die kurz- und mittelfristigen Massnahmen bedeuten vor allem zusätzliche Lohnkosten (4) für die Zeit vom 1. August 2000 bis Ende Amtsperiode (20 Monate). Um Transparenz zu schaffen, werden nicht nur die Kosten der Präsidiumsstelle, sondern auch der Stellen für Gerichtsschreiber/in und Kanzlei angegeben:


Die Wahl der ao. Richterinnen und Richter ist kostenneutral, da nur für effektive Verhandlungstage Sitzungsgeld entschädigt wird. Eine grobe Schätzung der Sitzungsgelder für den Transfer-Fall beläuft sich auf insgesamt Fr. 100'000.--. Diese Kosten fallen unabhängig davon an, ob ao. Richterinnen und Richter gewählt werden.



V. Antrag


Das Obergericht beantragt dem Landrat:


1. Wahl eines ausserordentlichen Strafgerichtspräsidiums (5) vom 1. August 2000 bis Ende Amtsperiode (31. März 2002).


2. Wahl von 7 ausserordentlichen Strafrichterinnen und -richtern (6) vom 1. August 2000 bis Ende Amtsperiode ( 31. März 2002).


Im Namen des Obergerichts
Der Präsident: Dr. T. Walter
Die Gerichtsschreiberin: Dr. I. Laeuchli


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1.

Bei den Polizeigerichtsfällen wird von den Zahlen in den letzten fünf Jahren ausgegangen. Gemäss neuer StPO erfolgen die Einsprachen gegen die Strafbefehle der Statthalterämter und nicht mehr gegen diejenigen der Überweisungsbehörde . Prognosen, ob gegen mehr oder weniger Strafbefehle der Statthalterämter Einsprache erhoben wird, sind zur Zeit nur Spekulation und können sich auf keine gesicherten Daten abstützen.

2.

3. Das Strafgericht unterscheidet in seiner Statistik nicht zwischen Anklagen und Einsprachen gegen Vergehensstrafbefehle. Die Einsprachen gegen Vergehensstrafbefehle werden grundsätzlich weiterhin in der Kompetenz des Strafgerichts liegen. Dies sind im Durchschnitt rund 93 Fälle pro Jahr.


4. Die exakten Lohnkosten sind abhängig von der effektiven Einreihung der zu wählenden resp. anzustellenden Personen.


5. Wahlvoraussetzung: abgeschlossene rechtswissenschaftliche Bildung (§ 27 GVG)


6. Gewünschte, zur Zeit noch nicht zwingende Wahlvoraussetzung bei 6 Mitgliedern: Wirtschafts- oder Buchhaltungs- oder Informatikkenntnisse oder Kenntnisse im Bereich der organisierten Kriminalität