2000-147 (1)

Am 22. Juni 2000 hat Uwe Klein eine Interpellation "Unhaltbare Verschleppung der Voruntersuchung im 'Fall Wehrli' " eingereicht. Die Interpellation hat folgenden Wortlaut:


"Der "Fall Wehrli" wird seit mehr als 6 Monaten beim Statthalteramt Liestal untersucht. Die Medien haben über diesen Fall und die fragwürdigen Ungereimtheiten der Untersuchungsbehörden und deren Kontrollstellen schon des öfteren berichtet. In diesem Zusammenhang drängen sich nun Fragen auf über die Zustände, Methoden und Vorgehensweise der Untersuchungsbehörden. Trotz Gewaltentrennung darf es nicht sein, dass unbescholtene Bürger - auch wenn die Anschuldigung schwerwiegend ist- sprichwörtlich in die Mühlen der Justiz geraten.


Gemäss Strafprozessordung § 22 Abs. 2 heisst es: Jede im Strafverfahren tätige Behörde ist verpflichtet, alle belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt zu ermitteln. Weiter ist unter § 23 Abs. 1 festgehalten: Strafverfahren sind beförderlich durchzuführen und abzuschliessen. Haftfälle sind beschleunigt zu behandeln . § 46 Abs. 2 sagt: Bei den Einvernahmen sind alle auf Einwirkung einer Aussage und insbesondere eines Geständnisses abzielenden Zwangsmittel sowie Gewaltmassregeln, Drohungen, Versprechungen, falsche Vorspiegelung und verfängliche Fragen (Suggestivfragen) untersagt. Aus meiner Sicht und Beurteilungsweise wurde bisher von den Untersuchungsbehörden nur belastendes und keinesfalls entlastendes Material ermittelt und von Sorgfalt kann schon bald keine Rede mehr sein.


Ich bitte den Regierungsrat um schriftliche Beantwortung der folgenden Fragen:


Mir ist bewusst, dass ich mit einigen Fragen in die laufenden Ermittlungen eingreife und dass sich der Regierungsrat mit dem Argument entlastet, dass aus Gründen der Gewaltentrennung zum jetzigen Zeitpunkt darauf keine Antwort gegeben werden kann und darf.


Andererseits frage ich mich als Volksvertreter, wie weit die Untersuchungsorgane gehen können und einen unbescholtenen Mitbürger 2 Monate hinter Gitter setzen, mit dem Argument der Kollusionsgefahr. Dies ist unverhältnismässig und in einem Rechtsstaat wie unserem unverständlich. Mit dieser Verfahrensweise wird das Vertrauen in die Justiz massiv erschüttert."




Der Regierungsrat gibt nachstehend die Interpellationsbeantwortung des Obergerichts Basel-Landschaft im Wortlaut wider:


"Nach dem Hinweis auf die entsprechenden Gesetzesbestimmungen stellt Herr Klein insgesamt 22 Fragen. Er ist sich dabei bewusst, dass er mit einigen Fragen in die laufende Ermittlung eingreift und dass sich der Regierungsrat mit dem Argument entlasten kann, dass aus Gründen der Gewaltentrennung zum jetzigen Zeitpunkt darauf keine Antwort gegeben werden darf und kann.


Herr Klein stellt richtig fest, dass die Frage der Gewaltentrennung bei der Beantwortung dieser schriftlichen Interpellation eine entscheidende Rolle spielt.


Gemäss § 61 Absatz 1 der Kantonsverfassung übt der Landrat die Oberaufsicht über alle Behörden und Organe aus, die kantonale Aufgaben wahrnehmen. Das Oberaufsichtsrecht verwirklicht ein Stück Gewaltenteilung und dient damit der Machthemmung und Machtausbalancierung im Staat (1) . Die parlamentarischen Mittel werden im Landratsgesetz (abgekürzt: LRG, SG 131) umschrieben. In den §§ 60 ff. LRG werden die Organe der parlamentarischen Oberaufsicht bestimmt und ihre Aufgaben und Kompetenzen festgelegt. §§ 34 ff. LRG regelt die Form und Inhalt der parlamentarischen Vorstösse, welche auch als Mittel der parlamentarischen Oberaufsicht eingesetzt werden können. § 38 LRG definiert Interpellationen als Anfragen von Ratsmitgliedern, Kommissionen oder Fraktionen, mit denen der Regierungsrat um Auskunft über grundsätzliche Fragen der kantonalen Politik ersucht wird. Die schriftliche Interpellation von Herrn Uwe Klein verlangt nun keineswegs Auskunft über grundsätzliche Fragen der kantonalen Politik, sondern stellt in einem laufenden Untersuchungsverfahren konkrete Fragen zu einzelnen Untersuchungshandlungen.


Der Beantwortung der gestellten Fragen stehen neben der Unabhängigkeit der Gerichte (auch der Untersuchungsrichter und -richterinnen) gemäss § 82 der Kantonsverfassung gewichtige Gründe entgegen. Es besteht die generelle Pflicht zur Verschwiegenheit (§ 38 des Personalgesetzes). Neben der angeschuldigten Person sind in diesem Verfahren noch weitere Personen involviert, die auf den Schutz des Amtsgeheimnisses und somit auch auf den Schutz vor Publizität vertrauen. Im weiteren stehen der angeschuldigten Person gemäss der Strafprozessordnung eine Reihe von Rechtsmitteln zur Verteidigung zur Verfügung. Neben der allgemeinen disziplinarischen Aufsichtsbeschwerde sind die Haftbeschwerden nach den §§ 81 ff. StPO und die Beschwerdemöglichkeit nach § 120 StPO zu nennen. Von diesen Rechtsmittel- und Beschwerdemöglichkeiten hat die angeschuldigte Person Gebrauch gemacht. Bisher wurden vom Verfahrensgericht eine Haftbeschwerde, eine Haftüberprüfung, zwei Verfahrensbeschwerden sowie eine Aufsichtsbeschwerde behandelt; weitere vier Beschwerden sind hängig. Es konnten aufgrund der vorliegenden Akten keine offensichtlichen Ungereimtheiten oder Anzeichen einer mangelnden Objektivität der Verfahrensleiterin festgestellt werden. Im Gegenteil, das Verfahren wurde sowohl fachlich kompetent wie auch speditiv geführt. Es bestand zu keinem Zeitpunkt Anlass, die Verfahrensleitung auszuwechseln. Im übrigen hat auch das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 8. August geprüft, ob eine Parteilichkeit der Verfahrensleiterin vorliegt. Das Bundesgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass die genannten Gegebenheiten nicht - jedenfalls wenn sie im jeweiligen Zusammenhang gesehen werden - geeignet sind, eine Voreingenommenheit der verfahrensleitenden Mitarbeiterin zu begründen. Der Anspruch auf eine unparteiliche Führung der Strafuntersuchung ist somit nicht verletzt.


Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der angeschuldigten Person ein ausgebautes Rechtsmittelsystem zur Verteidigung gemäss der neuen Strafprozessordnung, in Kraft seit 1.1.2000, zusteht. Von diesen Möglichkeiten hat sie Gebrauch gemacht. Die Oberaufsicht des Landrates kann nicht dazu dienen, dieses Rechtsmittelsystem zu umgehen und weitere Rechtsmittel einzuführen. Das Oberaufsichtsrecht umfasst nicht die Möglichkeit, unmittelbar rechtlich durchsetzbare Folgen anzuordnen. Es ist namentlich nicht dazu imstande beanstandete Verfügungen oder richterliche Urteile aufzuheben, anstelle der Justizbehörden Anordnungen und Massnahmen zu treffen oder den Justizorganen verbindliche Weisungen zu erteilen (2) .


Das Obergericht hat sich aufgrund dieser schriftlichen Interpellation beim Verfahrensgericht in Strafsachen, der direkten Aufsichtsbehörde über die Statthalterämter, über die - in Frageform dargestellten - Vorwürfe erkundigt. Das Verfahensgericht in Strafsachen hatte sich - wie oben dargestellt - im Rechtsmittelverfahren ausführlich mit diesem Fall zu beschäftigen. Es hat dabei keine unhaltbare Verschleppung festgestellt, gegen die auch ein Rechtsmittel, nämlich die Rechtsverzögerungsbeschwerde, zulässig wäre. Eine Beantwortung der Detailfragen erübrigt sich somit, da diese ganz offensichtlich ins laufende Verfahren eingreifen und daher u.a. dem Amtsgeheimnis unterliegen.


In einem letzten Absatz stellt sich Herr Klein die Frage, wie weit Untersuchungsorgane gehen können und einen unbescholtenen Mitbürger 2 Monate hinter Gitter setzen mit dem Argument der Kollusionsgefahr. Hierzu ist zu bemerken, dass trotz des Grundsatzes der Unschuldsvermutung die Behörden gemäss § 10 StPO verpflichtet sind, strafbare Handlungen von Amtes wegen zu verfolgen und zu untersuchen. Schuld oder Unschuld stellen die Gerichte aufgrund der Untersuchungen fest."


Liestal, 19. September 2000


Im Namen des Regierungsrates
Der Präsident: Koellreuter
Der Landschreiber: Mundschin


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Fussnoten:


1. Kurt Eichenberger, Aktuelle Fragen des parlamentarischen Oberaufsichtsrechts im Kanton Basel-Landschaft, in: Recht und Politik im Kanton Basel-Landschaft, Band 2, Liestal, 1982, S. 14


2. Kurt Eichenberger, a.a.O., S. 13