2000-152

Am 6. Februar 1997 überwies der Landrat das oben erwähnte, von 29 Landratsmitgliedern mitunterzeichnete Postulat von Dieter Völlmin an den Regierungsrat. Das Postulat hat folgenden Wortlaut:


Verfassung und Gesetze der Kantone gehen weitgehend davon aus, dass jeder Kanton in der Rechtsetzung autonom ist und seine Aufgaben grundsätzlich im Rahmen einer eigenen kantonalen Organisation wahrnimmt.


Die Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit deuten mindestens für gewisse Bereiche staatlicher Tätigkeiten in eine andere Richtung. Aus wirtschaftlichen, aber auch aus politischen Gründen werden immer mehr Aufgaben im Verbund mit anderen Kantonen regional angegangen.


Was die Schaffung gemeinsamer Verwaltungsorganisationseinheiten betrifft, besteht bereits eine gewisse Tradition vor allem im Verhältnis zu Basel-Stadt (Lufthygieneamt, MFK, Ingenieurschule usw.). Es zeigt sich jedoch, dass auch im Bereich der Gesetzgebung das Bedürfnis besteht, kantonsübergreifend in den Grundzügen einheitliche Normen zu erlassen. Als Beispiel dazu sei das Umweltschutzgesetz der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft erwähnt. Aktuell ist die geplante Erarbeitung eines gemeinsamen Submissionsgesetzes und in diesen Zusammenhang gehören auch die Koordinationsbemühungen im Bereich der Konsumkreditgesetzgebung auf kantonaler Ebene. Die Regeln der Vereinbarungen zwischen den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft über die Zusammenarbeit der Behörden sind nicht auf das Gesetzgebungsverfahren zugeschnitten und beschränken sich auf die Zusammenarbeit der beiden Vertragskantone.


In Anerkennung der Notwendigkeit von regionalen Gesetzgebungsprojekten darf der Wunsch nach grösstmöglicher Übereinstimmung nicht dazu führen, dass sich das Gesetzgebungsverfahren aus praktischen Gründen auf die Verwaltungsebene verlagert und die eigentlichen kantonalen Gesetzgebungsorgane nur noch die Möglichkeit haben, entweder den ihnen vorgelegten Entwurf im wesentlichen tel quel zu akzeptieren oder zum Totengräber gemeinsamer Gesetze zu werden. Damit wird das Prinzip der Gewaltenteilung wenn auch nicht formell, aber doch im Ergebnis verletzt. Davon abgesehen können institutionalisierte Mitwirkungsrechte (Vernehmlassungen der Gemeinden, Parteien und Verbände) nicht in ausreichendem Mass wahrgenommen werden.


Zwar enthält das Landratsgesetz vom 21.11.1994 eine Bestimmung über die interkantonale Zusammenarbeit (§ 23), aber eine einseitige Regelung eines einzelnen Kantons vermag die notwendige Harmonisierung der Gesetzgebungsverfahren aller beteiligter Partnerkantone nicht zu schaffen. Es bedarf dazu überkantonaler Verfahrensregeln, welche sicherstellen, dass die Gesetzgebung einerseits unter Respektierung der Gewaltenteilung durch die gemäss Verfassung und Gesetz zuständigen Organe erfolgt, andererseits aber auch ungeachtet der Beteiligung mehrerer Kantone zügig ablaufen kann. Solche Regeln können sinnvollerweise im Rahmen eines Konkordats geschaffen werden. Dabei kann die Vereinbarung zwischen den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft über die Zusammenarbeit der Behörden bis zu einem gewissen Grad als Grundlage dienen.


Die Schaffung einheitlicher Verfahrens- und Spielregeln wird regionale gemeinsame Gesetzgebungsprojekte erleichtern und dazu führen, dass es für die erfolgreiche Durchführung solcher Projekte weniger als bisher auf die atmosphärischen Randbedingungen der beteiligten Amtsstellen ankommt. Es wäre auf diese Weise auch möglich, ein Instrument zu schaffen, welches den Blickwinkel für gemeinsame Projekte in Richtung auf zusätzliche Kantone (Aargau, Solothurn, Jura, Bern) öffnet, sofern dies von der Sache her sinnvoll ist.


Da auch die Schaffung von gemeinsamen Verwaltungsorganisationseinheiten zur Änderung bestehender Normen führt, wären die Regeln eines solchen Konkordats auch dafür anwendbar.


Ich bitte den Regierungsrat, die Schaffung eines entsprechenden Konkordats zu prüfen und gegebenenfalls mit den Kantonen der Nordwestschweiz Kontakt aufzunehmen.




Der Regierungsrat nimmt zum Postulat betreffend Schaffung eines nordwestschweizerischen Rechtsetzungskonkordat wie folgt Stellung:


1. Ergebnis einer Umfrage bei den Kantonen der Nordwestschweiz


Die Justiz-, Polizei- und Militärdirektion ersuchte mit Schreiben vom 23. Februar 1999 die Staatskanzleien der Kantone der Nordwestschweiz um eine Meinungsäusserung zum Postulat 96/213 und um die Beantwortung der folgenden Fragen:


- Erachten Sie den Handlungsbedarf bei der Koordination und Harmonisierung kantonsübergreifender Gesetzgebungs- und Verwaltungsorganisationsprojekte als gegeben?


- Wie stellen Sie sich zur Schaffung eines entsprechenden Rechtsetzungskonkordats im Sinne der Vorstellungen des Postulats?




Die Antworten lauteten (jeweils zusammengefasst) wie folgt:


Kanton Jura (Antwortschreiben vom 17. März 1999)


Der Service juridique des Kantons Jura teilte mit, die gestellten Fragen seien bereits im Rahmen einer Studie betreffend Intensivierung der interkantonalen Zusammenarbeit geprüft worden. Im Endbericht sei man zum Schluss gekommen, dass sich im Allgemeinen das Gebiet der Rechtsetzung nicht für eine interkantonale Zusammenarbeit eigne, sondern dass es um


eine Zusammenarbeit gehe, die darauf abziele, einzelne Gesetzgebungsbereiche zu harmonisieren (z.B. Schulharmonisierung) oder durch ein Konkordat zu vereinheitlichen (z.B. Schiedsgerichtsbarkeit). Selbstverständlich interessiere sich der Kanton Jura für Projekte über eine sektorielle Zusammenarbeit, soweit sie sich für eine interkantonale Zusammenarbeit eigneten.




Kanton Aargau (Antwortschreiben vom 9. April 1999)


Eine Umfrage durch Rechtsdienst des Regierungsrates (Staatskanzlei des Kantons Aargau) bei den Rechtsetzungsbeauftragten sämtlicher Departemente und der Staatskanzlei hat ergeben, dass aus Sicht der Verwaltung des Kantons Aargau kein aktueller Handlungsbedarf für die Schaffung eines Rechtsetzungskonkordats besteht und die bestehenden Formen und Gefässe der interkantonalen Zusammenarbeit (Konkordate, Vereinbarungen, Konferenz der Erziehungsdirektoren, Konferenz der Gesundheitsdirektoren, Konferenz der Kantonsregierungen usw.) als genügend erachtet werden. Einen geringen Handlungsbedarf sehen die Rechtsetzungsbeauftragten bei der frühzeitigen gegenseitigen Information über anstehende Gesetzgebungsvorhaben. Für den aargauischen Rechtsdienst des Regierungsrates birgt ein Rechtsetzungskonkordat die Gefahr, dass eine Ablauforganisation vorgegeben wird, die den sachlichen Anforderungen sowie den personellen und ressourcenmässigen Rahmenbedingungen des jeweiligen Projekts nicht gerecht wird.




Kanton Solothurn (Antwortschreiben vom 13. April 1999)


Die Staatskanzlei des Kantons Solothurn sieht keine Notwendigkeit für eine Angleichung oder sogar Vereinheitlichung der Gesetzgebungsverfahren durch ein Rechtsetzungskonkordat im Sinne des Postulats Völlmin. Es sei die ureigenste Aufgabe jedes Kantons, sein Gesetzgebungsverfahren nach seinen Bedürfnissen und seiner Eigenart zu regeln und den zur Verfügung stehenden Handlungsspielraum auszunutzen. Eine Verfahrensvereinheitlichung würde aus der Sicht der Staatskanzlei Solothurn keine Garantie für einen einheitlichen Inhalt des Verfahrensprodukts bieten.




Kanton Bern (Antwortschreiben vom 18. Mai 1999)


Die Staatskanzlei des Kantons Bern erachtet den Handlungsbedarf bei der Koordination und Harmonisierung kantonsübergreifender Gesetzgebungs- und Verwaltungsorganisationsprojekte als gegeben und hält ein Rechtsetzungskonkordat für ein sinnvolles Instrument. Allerdings weist die Staatskanzlei darauf hin, dass bereits Anstrengungen in diese Richtung unternommen worden sind (vom Forum interparlamentaire romand entwickelte Idee eines "Concordat des concordats").




Kanton Basel-Stadt (Antwortschreiben vom 11. Februar 2000)


Für das Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt besteht kein Handlungsbedarf zur Schaffung eines Rechtsetzungskonkordats im Sinne des Postulats 96/213. Es weist darauf hin, dass schon heute aufgrund der "Vereinbarung zwischen den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft über die Zusammenarbeit mit den Behörden" aus dem Jahr 1977 die Möglichkeit bestehe, das Gesetzgebungsverfahren partnerschaftlich durchzuführen; gestützt darauf hätten die Kantone beider Basel in den letzten Jahren einzelne, aufeinander abgestimmte Gesetze erlassen (Umweltschutzgesetz, Beschaffungsgesetz und ansatzweise Konsumkreditgesetz). Dass von den schon existierenden Verfahrensregeln zur Harmonisierung und Koordination der Gesetzgebung in den beiden Basel nur wenig Gebrauch gemacht wird, führt das Justizdepartement darauf zurück, dass der Druck zum gesetzgeberischen Tätigwerden jeweils zu unterschiedlichen Zeitpunkten entsteht. Davon ausgenommen seien die kantonalen Einführungserlasse zu neuen oder zu revidierten Bundeserlassen, wo - wie etwa bei der Einführung des eidgenössischen Opferhilfegesetzes - vermehrt eine Koordinierung und Harmonisierung zwischen den Kantonen beider Basel versucht werden solle. Damit in Zukunft von den vorhandenen Möglichkeiten zur gemeinsamen Gesetzgebung jeweils dort, wo es von der Natur der Sache her angebracht ist, auch tatsächlich Gebrauch gemacht wird, regt das Justizdepartemt Basel-Stadt an, für die Treffen der Regierungen beider Basel und auch für die Konferenz der Regierungen der nordwestschweizerischen Kantone ein ständiges Traktandum "Gemeinsame Gesetzgebung" aufzunehmen. Bezüglich der Schaffung gemeinsamer Verwaltungsorganisationseinheiten weist das Justizdepartement auf das Karlsruher Übereinkommen von 1996 hin, das den Kantonen der Nordwestschweiz (mit Ausnahme des Kantons Bern) eine Rechtsgrundlage dafür biete, miteinander gemeinsame Verwaltungsorganisationseinheiten zu gründen. Soweit das Postulat 96/213 die Harmonisierung und die Koordination bei der Schaffung gemeinsamer Verwaltungsorganisationseinheiten anstrebt, ist es für das Justizdepartement bereits verwirklicht. Weil aber das Karsruher Übereinkommen nur für die Kantone Solothurn, Aargau, Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Jura, nicht aber für den Kanton Bern gilt, regt das Justizdepartement an, der Regierung des Kantons Bern an einer der nächsten Sitzungen der Regierungen der Kantone der Nordwestschweiz ein Exemplar des Übereinkommens zur Kenntnisnahme zu überreichen.




2. Folgerungen Das Ergebnis der schriftlichen Umfrage der Justiz-, Polizei- und Militärdirektion bei den Staatskanzleien unserer fünf nordwestschweizer Nachbarkantone zeigt, dass vier davon
(Jura, Aargau, Solothurn und Basel-Stadt) keine Notwendigkeit für die Schaffung eines gemeinsamen Rechtsetzungskonkordats sehen. Allein die Staatskanzlei des Kantons Bern ortet diesbezüglich einen Handlungsbedarf und hält ein Rechtsetzungskonkordat für sinnvoll. Die übrigen der angefragten Staatskanzleien verweisen auf bereits bestehende Möglichkeiten zur Koordination von gemeinsamen Gesetzgebungsvorhaben. Unter diesen Umständen kann der Schaffung eines nordwestschweizerischen Konkordats, das im Sinne des Postulats Völlmin einheitliche Verfahrensregeln für gemeinsame Gesetzgebungs- und Verwaltungsorganisationsprojekte zum Gegenstand hat, kaum Chancen eingeräumt werden.


Auch der Regierungsrat hält ein solches Rechtsetzungskonkordat nicht für zwingend notwendig. Wo es von der Sache her angezeigt erscheint, können mit den in Frage kommenden Kantonen schon heute entweder direkt oder via die entsprechenden Regierungskonferenzen Absprachen über das gemeinsame Vorgehen bezüglich konkreter Rechtsetzungsvorhaben getroffen werden. Zudem müssen die Rechtsetzungsarbeiten nicht in jedem Fall auf Stufe der Kantonsverwaltungen, sondern könnten unter Umständen auch auf Stufe der Kantonsparlamente erfolgen. So wäre allenfalls denkbar, dass mit dem Instrument der parlamentarischen Initiative gleichlautende Rechtsetzungsentwürfe in die jeweiligen Kantonsparlamente eingebracht werden. Allerdings ist der Feststellung des Justizdepartements Basel-Stadt beizupflichten, dass der Bedarf zur Schaffung einer bestimmten gesetzlichen Regelung in den einzelnen Kantonen oft nicht zeitgleich entsteht, so dass gemeinsame Rechtsetzungsvorhaben häufig schon von daher nicht in Betracht fällt. Ausserdem ist bei bestimmten Vorhaben eine Harmonisierung von Rechtserlassen wegen der unterschiedlichen Behördenorganisation in den einzelnen Kantonen äusserst schwierig, wenn nicht gar unmöglich (Bsp. Strafprozess, Gerichtsorganisation).


Dass die Harmonisierung der Rechtsetzung zumindest zwischen den Kantonen beider Basel, auch ohne Rechtsetzungskonkordat realisierbar ist, soweit dafür ein Bedarf besteht, zeigt das kürzliche Beispiel der Gesetzgebung im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens, wo heute die einzelnen Gesetze in den Kantonen Basel-Landschaft (Beschaffungsgesetz) und Basel-Stadt (Submissionsgesetz) weitestgehend gleich lauten. Das war auch das erklärte Ziel der beiden Kantone, weshalb das Verfahren bei den parlamentarischen Beratungen wurde entsprechend Ziel ausgestaltet wurde. So orientierten sich die Präsidenten der beiden parlamentarischen Spezialkommissionen laufend über alles Wichtige und tauschten zur gegenseitigen Information die Sitzungsprotokolle aus. Am Ende der Beratungen wurden in den beiden Spezialkommissionen Subkommissionen zur Bereinigung der Differenzen in den Gesetzesentwürfen gebildet und anschliessend das Resultat der Differenzbereinigung den beiden Kommissionen getrennt zum Beschluss vorgelegt. Dieses Vorgehen kann als Modell für andere gemeinsame Gesetzgebungsvorhaben dienen, an denen sich auch weitere Kantone beteiligen können. Die Befürchtung, dass heute die an gemeinsamen Gesetzgebungsvorhaben beteiligten Kantonsparlamente nur die Möglichkeit haben, entweder den ihnen vorgelegten Entwurf im wesentlichen tel quel zu akzeptieren oder aber andernfalls zum Totengräber gemeinsamer Gesetze zu werden, wie es in der Postulatsbegründung etwas drastisch formuliert wird, kann der Regierungsrat nicht teilen. Die beteiligten Kantonsparlamente haben als die verfassungsmässigen Gesetzgebungsorgane selbstverständlich das Recht, an den ihnen unterbreiteten Rechtsetzungsvorlagen entscheidende Weichenstellungen durch Änderungen und Ergänzungen der Vorlage vorzunehmen.


Zusammengefasst gelangt der Regierungsrat zur Erkenntnis, dass zumindest im jetzigen Zeitpunkt aus Sicht der überwiegenden Mehrheit unserer nordwestschweizer Nachbarkantone keine Notwendigkeit besteht, ein Rechtsetzungskonkordat im Sinne des Postulats Völlmin besteht.


Der Regierungsrat gelangt - im Einklang mit den meisten anderen Nordwestschweizer Kantonen - zum Ergebnis dass für die Schaffung eines Rechtsetzungskonkordats im Sinne des Postulats keine überzeugenden Gründe bestehen. Diese Auffassung vertritt auch die Konferenz der Regierungen der Nordwestschweiz: Gestützt auf die Stellungnahme aus den Kantonen ist sie in ihrer Sitzung vom 9. Juni 2000 zum Ergebnis gelangt, dass für ein Rechtsetzungskonkordat kein Handlungsbedarf besteht, projektbezogene Vereinbarungen über die Koordination von Gesetzgebungsvorhaben jedoch unterstützt werden.




3. Antrag


Mit dem vorliegenden Bericht hat der Regierungsrat auftragsgemäss das Postulat geprüft und über seine Abklärungen berichtet.


Der Regierungsrat beantragt dem Landrat, das Postulat 96/213 von Dieter Völlmin und 29 Mitunterzeichnenden als erfüllt abzuschreiben.


Im Namen des Regierungsrates
der Präsident: Koellreuter
der Landschreiber: Mundschin



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