1999-176 (1)

Landrat / Parlament || Vorlage 1999-176 vom 10. Januar 2000


Schriftliche Beantwortung der Interpellation von Landrat Peter Degen betreffend Personalprobleme an den Kantonsspitälern Baselland


Geschäfte des Landrats || Hinweise und Erklärungen





Die von Landrat Peter Degen am 2. September 1999 eingereichte Interpellation hat folgenden Wortlaut:

An den Baselbieter Kantonsspitälern scheint die Personal- und Arbeitssituation im Pflegebereich sehr angespannt. So musste am Kantonsspital Bruderholz das administrative Personal aufgrund vieler krankheitsbedingter Absenzen, notfallmässig im Pflegebereich eingesetzt werden. Gemäss Medienberichten muss in den nächsten Monaten mit weiteren „Notfall"-Pflegeeinsätzen durch das administrative Personal gerechnet werden. Mit diesem Entscheid handelte das Managment zwar unkonventionell, doch wieweit kann mit diesen „wiederkehrenden Notlösungen", die Qualität und das fachlich-pflegerische Know-how für die Patientinnen und Patienten noch garantiert werden? Ist auch bei grösseren Ereignissen aufgrund der Personalprobleme an den Kantonsspitälern, die Patientenversorgung im Baselbiet noch gewährleistet?


Ich bitte daher den Regierungsrat um die schriftliche Beantwortung folgender Fragen:


1. Wie präsentiert sich zur Zeit die Personalsituation (Ärzte, Administration und Pflegebereiche) an den Baselbieter Kantonsspitälern und dem Kinderspital beider Basel im interkantonalen Vergleich?


2. Was sind die Ursachen der angespannten Personalsituation im Pflegebereich am Bruderholzspital? Sind davon auch andere Baselbieter Spitäler und die Alters- und Pflegeheime betroffen?


3. Mit welchen Massnahmen will der Regierungsrat die unbefriedigende Situation für das Personal, die Patienten und der pflegerischen Qualitätssicherung, kurz-, mittel- und längerfristig garantieren?




Antwort des Regierungsrates


Der Interpellant bezieht sich auf einen Zeitungsbericht, wonach am Kantonsspital Bruderholz Ende Juni 1999 "administratives Personal" aufgrund vieler krankheitsbedingter Absenzen "notfallmässig" im Pflegeberich eingesetzt worden sei. Diese Darstellung ist wie folgt zu korrigieren:


Vom 23. bis 25. Juni 1999 (also während drei Tagen) haben der Leiter des Pflegedienstes, drei Kaderleute (Bereichsleiter) des Pflegedienstes sowie die Controllerin (Erstausbildung: Dipl. Krankenschwester) am Kantonsspital Bruderholz einen Einsatz in der praktischen Pflege geleistet. Dies geschah zwecks Entlastung des Pflegepersonals und mit dem Nebeneffekt, dass das obere Pflegekader wieder mehr „Frontnähe" erhielt. Die praktische Betätigung des Pflegekaders in der Pflege - ein- bis zweimal im Jahr - ist ohnehin anzustreben. Alle diese Kaderpersonen verfügen nicht nur über eine fundierte theoretische, sondern auch über eine ausgezeichnete praktische Ausbildung in der Pflege. Der dreitägige Einsatz erfolgte nach Rücksprache mit der Chefärztekonferenz und mit Wissen und Billigung der kantonalen Spitalaufsichtskommission. Es trifft also nicht zu, dass rein "administratives Personal" in der Pflege eingesetzt wurde, auch ist nichts Derartiges für die Zukunft geplant.




Zu den einzelnen Fragen:


1. Wie präsentiert sich zur Zeit die Personalsituation (Ärzte, Administration und Pflegebereiche) an den Baselbieter Kantonsspitälern und dem Kinderspital beider Basel im interkantonalen Vergleich?


An einer im September/Oktober 1999 durchgeführten Umfrage betreffend Kapazitäts- und Leistungskennzahlen haben (nebst allen Baselbieter Spitälern) fünf ausgewählte ausserkantonale Spitäler und sieben vergleichbare Psychiatrische Kliniken mitgewirkt (siehe Beilage 1 ).


Die erfassten Grössen sind:
- Pflegepersonal stationär pro Bett (Ist, Soll)
- Pflegetage pro Stelle.


Bei der Umfrage wurden die auszuweisenden Grössen möglichst genau definiert und eingegrenzt, trotzdem muss bei der Interpretation eine gewisse Ungenauigkeit miteingerechnet werden. Wirklich schlüssige vergleichende Aussagen lassen sich nur mit einem exakten Benchmarking unter Beizug von LEP (1) (Leistungserfassung in der Pflege) unter Berücksichtigung der vorhandenen medizinischen Disziplinen der betreffenden Spitäler und mit genauer Analyse der Arbeitsteilung im Spital (Pflege, Ärzte, Querschnittfunktionen, Ökonomie etc.) machen.


Die erarbeitete Übersicht erlaubt folgende Aussagen:


a) Pflegepersonal stationär pro Bett


Die somatischen Baselbieter Spitäler weisen einen um 10 - 20 % tieferen Personalbestand pro Bett auf als die ausserkantonalen Vergleichsspitäler, bei denen allerdings eine grosse Streuung von ebenfalls relativ niedrig bis recht hoch besteht.


Die Kantonale Psychiatrische Klinik liegt mit ihrem Stellenplan Pflegedienst gegenüber den anderen ausgewählten nichtuniversitären und universitären Kliniken ca. 5 % unter dem Mittelwert der Vergleichskliniken.


b) Pflegetage pro Stelle (Pflegedienst)


Die somatischen Baselbieter Spitäler weisen um 10 bis 20 % mehr Pflegetage pro Stelle im Pflegedienst auf. Die Kantonale Psychiatrische Klinik weist gut 5 % mehr Pflegetage pro Stelle im Pflegedienst auf als die Vergleichskliniken.


In Bezug auf das Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) lassen sich im jetzigen Moment mit vernünftigem Aufwand keine schlüssigen interkantonalen Vergleiche anstellen. Das neue Spital befindet sich nach der per 1. Januar 1999 vollzogenen Fusion noch inmitten eines Anpassungsprozesses. In den nächsten Monaten werden die umgebauten Räumlichkeiten am Standort Bruderholz bezogen und Quervergleiche sind erst nach einer gewissen Konsolidierungsphase sinnvoll.


Bei den Arztstellen liesse sich ein seriöser Vergleich nur in ausgewählten, vergleichbaren Kliniken und mit einem hohen Zeitaufwand realisieren. Der Versuch musste angesichts der zur Verfügung stehenden Zeit leider abgebrochen werden. Analoges gilt für das administrative Personal, wo einem schlüssigen Vergleich die völlig unterschiedlichen Aufbau- und Ablauforganisationen der verschiedenen Spitäler im Wege stehen.


2. Was sind die Ursachen der angespannten Personalsituation im Pflegebereich am Bruderholzspital? Sind davon auch andere Baselbieter Spitäler und die Alters- und Pflegeheime betroffen?


Die Baselbieter Spitäler, die Kantonalen Psychiatrischen Dienste sowie die Alters- und Pflegeheime erfüllen ihre Leistungsaufträge traditionellerweise mit relativ eng bemessenen Stellenplänen.


Die Arbeitsbelastung des gesamten Spitalpersonals ist angestiegen durch eine Erhöhung der Patientenzahl bei kürzerer durchschnittlicher Aufenthaltsdauer . Der Pflegeprozess verteilt sich damit auf weniger Tage. Im Kantonsspital Bruderholz bringt das flexible Bettenbewirtschaftungssystem (Floating Beds) eine bessere Nutzung der Ressourcen, erhöht aber die Arbeitsbelastung bei Ärztinnen und Ärzten sowie bei Pflegenden und verlangt von letzteren einen polyvalenteren Einsatz. Im längerfristigen Vergleich wird ein höheres Durchschnittsalter der Patienten und Patientinnen festgestellt, was ebenfalls den Arbeitsaufwand der Akutpflege erhöht. Die Spitäler müssen eine durchschnittliche Auslastung von mindestens 85 % vorweisen können, andernfalls müssen sie eine Kürzung der Spitaltaxe durch die Kranken- und Unfallversicherungen hinnehmen. Nachdem die Patienten tendenziell vor den Wochenenden entlassen werden wollen, die 85-prozentige Auslastung aber im ganzen Wochendurchschnitt erreicht werden muss, ist die Auslastung an Werktagen oft deutlich über 90 %. Trotzdem müssen die öffentlichen Akutspitäler, für die bekanntlich eine Aufnahmepflicht von Notfall-Patienten besteht, auch an Wochenenden ihre Leistungsbereitschaft aufrecht erhalten, was beträchtliche Kosten verursacht.


Der Personalmarkt für Pflegeberufe hat sich verändert: Trotz Schliessung von Spitälern respektive von Spitalabteilungen in verschiedenen Regionen der Schweiz ist der Markt ausgetrocknet. In den Pflegeberufen arbeiten vorwiegend Frauen, und diese haben heute wesentlich mehr Berufs- und Karrierealternativen, woraus eine geringere Präferenz für die Krankenpflege resultiert. Teilweise werden Krankenschwestern und -pfleger auch von anderen Branchen abgeworben. Während der Personalmarkt für Pflegeberufe bis vor ein, zwei Jahren keineswegs ausgetrocknet war und berufliche Veränderungswünsche zurückgestellt wurden, werden diese nun realisiert. Es entstand eine grössere Personalfluktuation. Die neuen Ausbildungsbestimmungen des Schweizerischen Roten Kreuzes (Umstellung der Ausbildungszeit von 3 auf 4 Jahre) verschärfen das Problem vorübergehend ebenfalls. Andere Kantonen sehen sich mit den gleichen Problemen konfrontiert. Der Kanton Zürich hat kürzlich mit Lohnerhöhungen zugunsten des Pflegepersonals reagiert.


Eine besonders ungünstige Situation ergibt sich, wenn eine Phase mit hoher Bettenauslastung zusammentrifft mit hohen Krankheitsausfällen im Personalbereich, was im Kantonsspital Bruderholz im Juni 1999 der Fall war.


Zur Kantonalen Psychiatrischen Klinik: Auch in der Psychiatrie, wo ebenfalls Aufnahmepflicht für Notfall-Patientinnen und -Patienten besteht, haben sich die Rahmenbedingungen der ärztlichen und pflegerischen Leistungen in den letzten Jahren enorm verändert. Die Patienteneintritte haben sich seit 1996 um ca. 37 % erhöht. Parallel dazu hat sich die durchschnittliche Aufenthaltsdauer von 90 Tagen auf 64 Tage verkürzt. Zwar sind die Pflegetage insgesamt zurückgegangen, doch der Rückgang erfolgte lediglich im Langzeitbereich, wogegen im Akutbereich eine Erhöhung der Eintritte stattfand. Damit und durch die Auslastungsvorgabe des Bundesrates von 90 % hat sich die Arbeit für die Pflegenden, für Ärztinnen und Ärzte sowie für die übrigen Disziplinen enorm verdichtet. Der Anteil an akuten Patientinnen und Patienten in komplexen Situationen - auch der Gewalt - hat deutlich zugenommen. Die Verantwortlichen der Kantonalen Psychiatrischen Dienste haben das Problem bereits seit längerem erkannt und damit begonnen, die Stellenzahl massvoll, im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten, zu erhöhen. Zudem wird versucht, mit dem Angebot von Supervisionen die Mitarbeitenden im belastender gewordenen Umfeld zu unterstützen.


3. Mit welchen Massnahmen will der Regierungsrat die unbefriedigende Situation für das Personal, die Patienten und der pflegerischen Qualitätssicherung, kurz-, mittel- und längerfristig garantieren?


Die Volkswirtschafts- und Sanitätsdirektion respektive die einzelnen Spitalleitungen setzen eine ganze Reihe von Instrumenten und Programmen ein zur Sicherstellung der einwandfreien quantitativen und qualitativen Erfüllung der Leistungsaufträge. Im Kantonsspital Bruderholz sind dies:


- Personalerhaltungsmassnahmen wie verbesserte Arbeitsbedingungen, Weiterbildung, Leistungserfassung in der Pflege (zwecks Ausgleich von Belastungsspitzen), Ergänzung von Vollzeitstellen durch Teilzeitstellen.


- Personalbeschaffungsmassnahmen
Intensive Rekrutierung in der Region, in anderen Kantonen sowie im grenznahen Ausland (Beispiel: Gemeinsame Informationstagung des Kantonsspitals Bruderholz und des UKBB am 28. Oktober 1999 in Heidelberg).


Frühzeitige Personaleinstellung im Hinblick auf eine „kalkulatorische Fluktuationsrate", d.h. Vermeidung der bisherigen systembedingten mindestens einmonatigen Vakanz zwischen einer Kündigung und der entsprechenden Neubesetzung.


Weiterbeschäftigung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Ausbildung auch nach dem Abschluss, selbst wenn momentan keine Stelle offen ist.


- Kapazitätsanpassung
Massvolle, gezielte Anpassung der Personalbestände. Als Beispiel einer sehr deutlichen, gezielten Anpassung sei die Notfallstation KSB/UKBB erwähnt, wo der Personaletat Ende Oktober von 12,5 auf 15,9 Sollstellen, d.h. um 25 Prozent erhöht wurde.


- Betriebsabläufe, Strukturen
Konzentrierterer Personaleinsatz mit neuen Konzepten: Wochenklinik, Tagesklinik, Ausbildungsstation.


- Qualitätsmanagement, Vorgehen gemäss H + (Beilage 2).


- Verbesserte Information spitalintern und gegenüber der Öffentlichkeit.


Liestal, 10. Januar 2000


Im Namen des Regierungsrates
der Präsident: Fünfschilling
der Landschreiber: Mundschin


Fussnote:
1. LEP: In der Schweiz stark verbreitetes Modell zur Erfassung und Bewertung der Arbeitsleistungen des Pflegedienstes. Zur Umsetzung werden entsprechende Softwaresysteme eingesetzt, womit LEP zum internen Führungsinstrument und zum Instrument für Benchmarking wird.



Beilage 1

Liste der Vergleichsspitäler/-Kliniken


Somatische Spitäler


- Kantonsspital Aargau
- Kantonsspital Baden
- Spitalzentrum Biel
- Hôpital cantonal Fribourg
- Bürgerspital Solothurn


Psychiatrische Kliniken


- Psychiatrische Dienste des Kantons Aargau
- PUK Basel
- Psychiatrische Klinik Münsingen/BE
- Klinik St. Urban Psychiatriezentrum Luzerner Landschaft
- Psychiatrische Dienste des Kantons Solothurn
- Kantonale Psychiatrische Klinik Münsterlingen/TG
- PUK Zürich


Back to Top