1999-145 (1)
Landrat / Parlament || Vorlage 1999-145 vom 21. September 1999
Schriftliche Beantwortung der Interpellation 99/145 von Heidi Portmann betreffend Atommülltransporte durch den Kanton BL
Geschäfte des Landrats || Hinweise und Erklärungen
Am 24. Juni 1999 reichte Landrätin Heidi Portmann, SP, eine Interpellation mit folgendem Wortlaut ein:
Der Bundesrat hat grünes Licht für Atommülltransporte zur Wiederaufarbeitung nach Frankreich und England gegeben. Die Transporte waren vor einem Jahr verboten worden wegen radioaktiver Kontamination der Behälter und Waggons. In Deutschland hingegen sind Atommülltransporte noch nicht bewilligt worden. Die Transporte wurden in drei Kategorien eingeteilt:
1. Transporte von Atomkraftwerken ins Zwischenlager mit neuen Behältern.
2. Transporte von verglasten Abfällen mit neuen Behältern aus den beiden Wiederaufarbeitungsanlagen La Hague und Sellafield.
3. Transporte von abgebrannten Brennelementen in die Wiederaufarbeitung mit den üblichen Behältern.
Zurzeit lässt die deutsche Bundesregierung Gutachten erstellen. Das Gutachten für die erste Kategorie ist auf Bundesebene fertig. Ein Gesuch für Transporte dieser Kategorie würde vor einer Genehmigung zuerst noch einer Prüfung unterzogen. Die Begutachtung für die Kategorie 2 ist bald erstellt, am Gutachten für die dritte Kategorie wird zurzeit gearbeitet.
Es erstaunt natürlich, dass die Schweizer Kontrollbehörde mit der Bewilligung der Transporte derart vorprellen und bald schon Bahntransporte mit hochradioaktiven abgebrannten Brennelementen durch unsern Kanton fahren. Ich danke der Regierung für die schriftliche Beantwortung folgender Fragen:
1. Verfolgt unsere Regierung die Bewilligung der Kontrollbehörde intensiv?
2. Wie viele Transporte werden dieses Jahr noch erfolgen?
3. Wie setzt sich unsere Regierung gegen diese an sich unnötigen, gefährlichen und teuren (Verteuerung pro kWh Strom ca. 1 - 2 Rappen) Atommülltransporte ins Ausland ein?
4. Welche andere Überlegungen hat die Schweizer Kontrollbehörde im Vergleich zur deutschen Kontrollbehörde gemacht, dass sie die Transporte bereits schon wieder zulassen? Was haben sie vorgekehrt, um sicher zu sein, dass Behälter und Waggons - und damit auch SBB-Personal - nicht mehr kontaminiert werden?
5. Wird das Zwischenlager Würenlingen wie vorgesehen auf Ende dieses Jahres bereit sein, die abgebrannten Brennelemente direkt, d.h. ohne Wiederaufarbeitung, vom AKW aufzunehmen?
6. Von den Atomkraftwerkbetreibern wurde entgegen früherer Angaben (ausgenommen Leibstadt) kürzlich behauptet, dass ihre Lager für abgebrannte Brennelemente voll seien und sie deshalb auf Transporte angewiesen seien. Berechnungen geben aber ein anderes Bild. Wie viele Stellplätze stehen zurzeit bei den verschiedenen AKW für die Einlagerung neuer abgebrannter Brennelemente zur Verfügung? Bitte nach AKW getrennt angeben.
7. Wie wird die Regierung sicherstellen, dass die Behälter und Waggons keine Kontamination aufweisen?
8. Wird unsere Regierung anlässlich des Entwurfs für ein neues Atomgesetz ein Verbot der Wiederaufarbeitung und die Befristung der Betriebsdauer (bitte Betriebsdauer angeben) der Schweizer AKW fordern?
9. Wie viele Tonnen abgebrannter Brennelemente wollen die AKW-Betreiber von heute an noch aufarbeiten? Bitte Grundlastverträge und Optionen getrennt aufführen. Wie viele Tonnen sind bis anhin total aufgearbeitet worden?
Allgemeines
Mit Fragen zur Sicherheit von Kernanlagen und den damit zusammenhängenden Problemen der Ver- und Entsorgung setzt sich der Regierungsrat seit bald 10 Jahren intensiv auseinander. Die Diskussion über die Risiken und Gefahren einer "Grosstechnologie" sind eine permanente Aufgabe. Es ist allerdings Aufgabe der zuständigen Bewilligungs- und Überwachungsbehörden sich bei den Betreibern der Kernanlagen durchzusetzen und bei den Transporten von abgebrannten Brennelementen aus den Kernkraftwerken der Schweiz sowohl sichere Transportbehälter zu verlangen als auch bei den Transporten selbst darauf zu bestehen, dass alle bewilligten Behälter bei einem denkbaren schweren Unfall den Austritt von Radioaktivität derart limitieren können, dass keine Lebensgefährdung und kein bleibender Schaden für Mensch und Umwelt besteht. Sie haben diese Forderungen durch Kontrollen zu überwachen.
Die einzelnen Fragen von Landrätin Heidi Portmann können wie folgt beantwortet werden:
Frage 1: Verfolgt unsere Regierung die Bewilligung der Kontrollbehörde intensiv?
Antwort:
Die Regierung verfolgt aufmerksam die Berichte aus den Medien. Die Verwaltung hat zudem Kontakte zum Bundesamt für Energie, der Hauptabteilung für die Sicherheit von Kernanlagen (HSK), dem Paul Scherrer Institut (PSI) und der Nationalen Alarmzentrale (NAZ). Diese Stellen informieren die Verwaltung regelmässig und direkt über alle Angelegenheiten betreffend Radioaktivität, also nicht nur ausschliesslich über Geschehen und Ablauf bei Transporten von abgebrannten Brennelementen.
Frage 2: Wie viele Transporte werden dieses Jahr noch erfolgen?
Antwort:
Der erste Transport von abgebrannten Brennelementen wird aus dem Kernkraftwerk Gösgen zwischen Ende August und Anfang September erfolgen. Am Mittwoch 18. August 1999 ist zu diesem Zweck ein Eisenbahnwagen mit einem leeren Transportbehälter im KKW Gösgen eingetroffen. Bis Ende 1999 sind insgesamt acht solche Transporte (aus KKG, KKB und KKL) vorgesehen.
Frage 3: Wie setzt sich unsere Regierung gegen diese an sich unnötigen, gefährlichen und teuren (Verteuerung pro kWh Strom ca. 1 - 2 Rappen) Atommülltransporte ins Ausland ein?
Antwort:
Die Regierung sieht zum heutigen Zeitpunkt keinen Handlungsbedarf. Sie wird jedoch versuchen, ihren Einfluss bei der anstehenden Revision der Atomgesetzgebung geltend zu machen. Dieser Einfluss wird sich auf die Grundsätze der Energiepolitik des Kantons BL abstützen, welche sowohl im § 1 Energiegesetz vom 4. Februar 1991 als auch im Landratsbeschluss vom 4. Februar 1991 (I. Allgemeine Grundsätze) unmissverständlich beschrieben werden.
Frage 4: Welche andere Überlegungen hat die Schweizer Kontrollbehörde im Vergleich zur deutschen Kontrollbehörde gemacht, dass sie die Transporte bereits schon wieder zulassen? Was haben sie vorgekehrt, um sicher zu sein, dass Behälter und Waggons - und damit auch SBB-Personal - nicht mehr kontaminiert werden?
Antwort:
Die HSK hat technische, organisatorische und radiologische Massnahmen angeordnet (siehe HSK-AN-3504, Stellungnahme der HSK zu den Kontaminationen beim Transport abgebrannter Brennelemente). (1) Damit wird die Häufigkeit und das Ausmass von Kontaminationen deutlich reduziert. Zum Beispiel müssen die Kernkraftwerke ihre Qualitätssicherung verbessern und Überschreitungen von Grenzwerten melden. Die Fracht wird durch einen Strahlenschutzfachmann bis zur Grenze begleitet. Die SBB und das Paul-Scherrer-Institut (PSI) in Würenlingen hatten im Frühling 1998 rund 200 beteiligte Eisenbahner auf Strahlenrückstände untersucht, aber bei keinem erhöhte Werte gemessen. Alle beteiligten Eisenbahner erhalten Dosimeter und werden zweimal im Jahr auf Strahlenrückstände untersucht. Auch in Zukunft sind keine gesundheitlichen Folgen weder für das Bahnpersonal noch für die Bevölkerung zu erwarten. Aus diesen Gründen ist die Wiederaufnahme aus der Sicht der HSK vertretbar.
Frage 5: Wird das Zwischenlager Würenlingen wie vorgesehen auf Ende dieses Jahres bereit sein, die abgebrannten Brennelemente direkt, d.h. ohne Wiederaufarbeitung, vom AKW aufzunehmen?
Antwort:
Die Anlieferungen von abgebrannten Brennelementen an das Zentrale Zwischenlager (ZZL) wird voraussichtlich ab dem Jahr 2000 erfolgen. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte das ZZL für die Aufnahme von abgebrannten Brennelementen eingerichtet und bereit sein.
Frage 6: Von den Atomkraftwerkbetreibern wurde entgegen früherer Angaben (ausgenommen Leibstadt) kürzlich behauptet, dass ihre Lager für abgebrannte Brennelemente voll seien und sie deshalb auf Transporte angewiesen seien. Berechnungen geben aber ein anderes Bild. Wie viele Stellplätze stehen zurzeit bei den verschiedenen AKW für die Einlagerung neuer abgebrannter Brennelemente zur Verfügung? Bitte nach AKW getrennt angeben.
Antwort:
Die Anzahl freier Stellplätze gemäss den Angaben der schweizerischen Kernkraftwerks-Betreibern beträgt:
Kernkraftwerk
|
Stellplätze belegt
|
Stellplätze frei
|
Stellplätze total
|
Beznau Block 1
|
243
|
||
Beznau Block 2
|
189
|
||
Gösgen
|
351
|
92
|
443 + 177 *
|
Leibstadt
|
1866
|
159
|
2025
|
Mühleberg
|
121
|
Frage 7: Wie wird die Regierung sicherstellen, dass die Behälter und Waggons keine Kontamination aufweisen?
Antwort:
Die Regierung hat weder die Einrichtung noch das Personal, um selber die Behälter und Waggons zu kontrollieren. Es ist nicht die Aufgabe eines Kantons, derartige Kontrollen durchzuführen. In der Beantwortung zu Frage 4 sind aber die Vorkehrungen auf Bundesebene geschildert, welcher unserer Ansicht nach ausreichen sollten.
Am 18. August 1999 wurde anlässlich des ersten Transports eines leeren Behälters für abgebrannte Brennelemente von Frankreich nach dem KKW Gösgen in diesem Jahr eine derartige Kontrolle betreffend Kontamination durch die zuständigen Bundesbehörden auf dem Rangierbahnhof BS Muttenz durchgeführt. Es wurde keine Kontamination festgestellt.
Frage 8: Wird unsere Regierung anlässlich des Entwurfs für ein neues Atomgesetz ein Verbot der Wiederaufarbeitung und die Befristung der Betriebsdauer (bitte Betriebsdauer angeben) der Schweizer AKW fordern?
Antwort:
Die Vernehmlassung zum Vorentwurf für ein neues Kernenergiegesetz soll in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 eröffnet werden. Nach Erhalt dieses Entwurfes wird sich die Regierung damit auseinandersetzen.
Frage 9: Wie viele Tonnen abgebrannter Brennelemente wollen die AKW-Betreiber von heute an noch aufarbeiten? Bitte Grundlastverträge und Optionen getrennt aufführen. Wie viele Tonnen sind bis anhin total aufgearbeitet worden?
Antwort:
In der nachstehenden Tabelle sind die von den schweizerischen Kernkraftwerks-Betreibern erhaltenen Auskünfte dargestellt.
Gemäss Medienberichten bestehen für 1000 Tonnen abgebrannte Brennelemente Wiederaufbereitungs-Verträge. In der Beantwortung der Interpellation 97.3144 von Nationalrat Thür sind nach Angaben des Bundesamtes für Energie bis Ende 1996 nach La Hague 515 Tonnen Schwermetall geliefert worden. Bis zum Jahr 2000 sind noch 125 Tonnen vorgesehen, d.h. insgesamt 650 Tonnen. Nach Sellafield sind bis Ende 1996 280 Tonnen Schwermetall geliefert worden. Bis zum Jahr 2000 sollen noch ca. 200 Tonnen geliefert werden, d.h. insgesamt 480 Tonnen.
Kernkraftwerk
|
wieviel sind noch vorgesehen?
|
Grundlastverträge
|
bis jetzt aufgearbeitet
|
Beznau I+II
|
228,3 to
es bestehen noch Optionen für weitere Wiederaufarbeitungskapazitäten |
||
Mühleberg
|
ca. 31 to
und evtl. auszuübende Vertragsoptionen und allfällige noch abzuschliessende Verträge |
ca. 228 to
und evtl. auszuübende Vertragsoptionen |
ca. 197 to
|
Gösgen
|
170 to
|
340 to
davon 56 to Optionen |
170 to
|
Leibstadt
|
128 to
|
128 to
|
Legende: to = Tonnen
Liestal, 21.September 1999
Im Namen des Regierungsrates
Der Präsident: Fünfschilling
Der Landschreiber: Mundschin
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Fussnote:
1. SBB Zeitung Nr. 7/1999, S. 15