1999-151_2.htm
Landrat / Parlament || Inhalt der Vorlage 1999-151 vom 6. Juli 1999
Nichtformulierte Volksinitiative "zur Einrichtung von Mittagstischen an den Schulen" der Primar- und Sekundarstufe I; Entgegennahme
Geschäfte des Landrats || Hinweise und Erklärungen
B. Bericht
1. Ausgangslage
Am 20. Juni 1997 reichte ein Komitee der Jungfreisinnigen Baselland bei der Landeskanzlei die nichtformulierte Volksinitiative «zur Einrichtung von Mittagstischen an den Schulen» ein. Das Begehren hat folgenden Wortlaut: «Die Behörden des Kantons Basel-Landschaft setzen sich für die Einrichtung von Mittagstischen an den öffentlichen Schulen der Primar- und Sekundarstufe I ein.»
Mit Verfügung vom 7. August 1997, publiziert im Amtsblatt Nr. 33 vom 14. August 1997, stellte die Landeskanzlei, gestützt auf § 73 des Gesetzes vom 7. September 1981 über die politischen Rechte, das Zustandekommen der Volksinitiative mit 1595 gültigen Unterschriften fest. Der Regierungsrat lud die Erziehungs- und Kulturdirektion mit Beschluss Nr. 1995 vom 26. August 1997 ein, den Entwurf einer Vorlage an den Landrat auszuarbeiten.
Sein Begehren begründet das Initiativkomitee wie folgt: «In unserer Gesellschaft existieren verschiedenste Familienformen. Familien mit alleinerziehenden Müttern und Vätern oder solche, in denen beide Ehepartner arbeiten müssen, sind dabei nur zwei Beispiele. Bei der politischen Diskussion dieser Tatsache steht immer wieder die Frage nach familienexternen Kinderbetreuungsformen im Zentrum. In einigen wenigen Gemeinden unseres Kantons wurden in den letzten Jahren Mittagstische eingerichtet, wo Schüler am Mittag eine Mahlzeit einnehmen und ihre Hausaufgaben erledigen können. Das bestehende Angebot reicht aber noch nicht aus. Ein Mittagstisch stellt eine mögliche Betreuungsinstitution für Kinder ausserhalb ihrer Familie dar. Sie bedeutet für die Eltern eine enorme Erleichterung, weil der ganze Mittagsstress, den auch die Kinder zu spüren bekommen, wegfällt. Den Kindern bietet er die optimale Möglichkeit, auch ohne elterliche Betreuung für die Dauer der Mittagszeit in einer Gemeinschaft integriert zu sein.»
2. Ziel der Vorlage
Gestützt auf § 78 Absatz 4 des Gesetzes über die politischen Rechte vom 7. September 1981, schlägt der Regierungsrat dem Landrat vor, dem Begehren des Initiativ-Komitees der Jungfreisinnigen Baselland betreffend die Einrichtung von Mittagstischen an den Schulen der Primarstufe und Sekundarstufe I Folge zu geben. Im neuen Bildungsgesetz soll zu diesem Zweck eine Bestimmung aufgenommen werden, derzufolge der Schulträger - bei den Primarschulen die Einwohnergemeinden, bei den Schulen der Sekundarstufe I der Kanton - im Bedarfsfall für eine Verpflegungsmöglichkeit der Schülerinnen und Schüler zwischen dem Vor- und Nachmittagsunterricht ausserhalb des Elternhauses besorgt ist.
3. Entgegennahme des Begehrens
Der Regierungsrat hat geprüft, ob die Mittagstisch-Initiative in Verbindung mit Ziffer 4 der am 12. Juni 1997 vom Landrat gutgeheissenen Motion 97/31 von Karl Rudin, Oberdorf, betreffend «Baselland wird bis zum Jahr 2000 zum familienfreundlichen Kanton» bearbeitet werden soll. Es stellte sich die Frage, ob die zustande gekommene «Kantonale Initiative zur Einrichtung von Mittagstischen an den Schulen» separat oder im Zusammenhang mit der Schaffung eines umfassenderen familienergänzenden Betreuungsangebots bearbeitet werden soll.
Der Regierungsrat ist zur Aufassung gelangt, dass mit der Möglichkeit, an den Schulen der Primarstufe und der Sekundarstufe I die 5-Tage-Woche sowie regelmässige Schulbesuchszeiten (Blockzeiten) einzurichten, für die Verbesserung der Vereinbarkeit von familiären und beruflichen Aufgaben für Mütter und Väter viel getan werden kann. Ein freiwilliges Angebot für die Mittagsverpflegung, kombiniert mit dem unterrichtsfreien Samstag und regelmässigen Schulbesuchszeiten, gewährleistet nach Auffassung des Regierungsrates eine weitreichende Erwerbskompatibilität für Familien mit schulpflichtigen Kindern.
Deshalb hat der Regierungsrat mit Beschluss Nr. 2379 vom 24. November 1998 davon abgesehen, die Mittagstisch-Initiative als Bestandteil einer umfassenderen Gewährleistung und Regelung familienergänzender Betreuungsangebote im Kanton Basel-Landschaft zu behandeln und die Erziehungs- und Kulturdirektion beauftragt, ihm eine Vorlage an den Landrat zu unterbreiten, die sich allein auf die Schaffung von Verpflegungsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler der Primarstufe und der Sekundarstufe I bezieht und womit dem Landrat beantragt werden soll, der Mittagstisch-Initiative Folge zu leisten.
4. Erfüllung des Begehrens
a) Verpflegungsmöglichkeiten für Primarschülerinnen und Primarschüler
In Fällen einer nicht mehr ausreichend funktionierenden nachbar- und verwandtschaftlichen Hilfestellung sollen die Einwohnergemeinden als Trägerinnen der Primarschule Primarschulkindern eine Verpflegungsmöglichkeit zwischen dem Vormittags- und Nachmittagsunterricht anbieten.
Mit diesem Ziel vor Augen, ist es allerdings nicht zwingend, einzig oder vorwiegend Mittagstische in den Schulen selber einzurichten. Entscheidend ist vielmehr, dass Schülerinnen und Schüler bei Bedarf einen betreuten Mittagstisch besuchen können. Ein Mittagstisch an Schulen ist damit zwar nicht ausgeschlossen, die Favorisierung dieser Form würde aber nur Sinn machen, falls, wie in anderen europäischen Ländern, die Schule für alle Schülerinnen und Schüler als Ganztagesschule konzipiert ist, vom Vormittag bis in den frühen Nachmittag dauert und eine Mittagsverpflegung abgibt.
Bei einem Schulsystem, bei dem ein grösserer Teil der Schülerinnen und Schüler die Mittagszeit im Elternhaus verbringt und dort die Mahlzeit einnimmt, kann der Bedarf nach einem betreuten Mittagstisch für Primarschulkinder von erwerbstätigen Eltern durch eine Vielfalt an Organisationsformen gedeckt werden. Die Festlegung auf eine einzige Angebotsform würde die Deckung dieses Bedarfs geradezu behindern und nicht erleichtern und vielfach sowohl pädagogisch als auch ökonomisch unsinnige Lösungen erzwingen.
Ob überhaupt ein Angebot (in Ergänzung zur spontanen Betreuungshilfe durch die Nachbarschaft und Verwandtschaft) notwendig ist und in welcher Art und Weise ein betreuter Mittagstisch am besten organisiert werden kann, können die Einwohnergemeinden zusammen mit den Primarschulen am besten beantworten und bestimmen. Dafür kommen folgende Organisationsformen in Frage:
- Familien-/Nachbarschafts-Mittagstisch (Träger: Tagesmütterverein);
- Gruppen-Mittagstisch in privater Tägerschaft (Träger: Tagesmütterverein, Familien- und Begegnungszentrum, Kirchgemeinde etc.);
- Gruppen-Mittagstisch in öffentlicher Trägerschaft ausserhalb oder in der Primarschule (Träger: Einwohnergemeinde);
Je nach örtlicher Schulhausgliederung und Anzahl der regelmässig zu verpflegenden Schülerinnen und Schüler kann es sinnvoll sein, für einen Gruppen-Mittagstisch, falls möglich, einen zentral gelegenen, ausserschulischen Ort auszuwählen, den Mittagstisch für die Kinder und Jugendlichen aller Schulhäuser in einer dafür geeigneten Schule einzurichten oder auf mehrere ausserschulische Orte oder Schulhäuser zu verteilen.
Ebenso kann es sein, dass sich in einer Gemeinde der Bedarf über Familien-/Nachbarschafts-Mittagstische decken lässt, es in anderen Gemeinden notwendig und sinnvoll ist, sowohl einen Familien- als auch einen Gruppen-Mittagstisch zu organisieren, und eine dritte Gemeinde vorwiegend auf einen oder mehrere Gruppen-Mittagstische angewiesen ist.
b) Verpflegungsmöglichkeiten Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I
Es ist festzustellen, dass es vielfach einfacher ist, für Kinder im Primarschulalter einen Betreuungsplatz in einer Pflegefamilie zu finden als für ältere Kinder und Jugendliche. Dies kann ganz unterschiedliche Gründe haben, etwa, dass heute Mütter, solange die eigenen Kinder klein sind, eher dazu bereit sind, ein weiteres Kind in Pflege zu nehmen, und, sobald ihre Kinder zur Schule gehen und älter sind, selber wiederum berufstätig sein wollen, oder dass es wegen der vielfältigen Erziehungsstile vielfach schwierig ist, für ältere Kinder und Jugendliche ein Betreuungsverhältnis aufzubauen, bei dem die abgebenden und aufnehmenden Eltern gut miteinander kooperieren.
Es gibt zwar keine breit abgestützten Erfahrungswerte, wohl aber klare Indizien, die dafür sprechen, dass mit zunehmendem Alter der Schülerinnen und Schüler ein allfälliger Bedarf an Mittagstischen eher durch Gruppenangebote gedeckt werden muss und nur in Ausnahmefällen und bei geringen Anmeldungen mit Hilfe von aufnehmenden Pflegefamilien befriedigt werden kann. Deshalb soll für Jugendliche, welche die Sekundarstufe I besuchen, der Kanton als zukünftiger Träger aller Schulen dieser Bildungsstufe im Bedarfsfall ein Gruppenangebot für die Verpflegung über Mittag ausserhalb des Elternhauses bereitstellen können. Ob die Verpflegung an der Schule oder an einem anderen geeigneten Ort in der Standortgemeinde abgegeben wird, ob die Verpflegungsmöglichkeit von der Schule oder einem eigens dafür beauftragten externen Anbieter organisiert wird, soll in jedem Sekundarstufe-I-Schulkreis - wiederum aufgrund der lokalen Gegebenheiten und Opportunitäten - gesondert geklärt und festgelegt werden. Auch hier soll nicht eine Einheitslösung, die von allen Schulen anzuwenden und zu befolgen ist, festgeschrieben werden.
c) Vollzug auf der Primarstufe
Ins neue Bildungsgesetz soll zwar der Grundsatz aufgenommen werden, dass der Schulträger im Bedarfsfall für eine Verpflegungsmöglichkeit der Schülerinnen und Schüler besorgt ist, der Regierungsrat gedenkt aber, soweit diese Aufgabe von den Einwohnergemeinden als Trägerinnen der Primarschule wahrzunehmen ist, vollumfänglich davon abzusehen, ins Dekret oder in die Primarschulverordnung zum neuen Bildungsgesetz Vollzugsregelungen aufzunehmen. Das heisst, es sind die Einwohnergemeinden, die im Primarschulbereich abschliessend
- den Bedarfsfall feststellen,
- die Angebotsform bzw. Angebotsformen bestimmen,
- die Finanzierung regeln,
- den Kostenbeitrag der Eltern fixieren.
c) Vollzug auf der Sekundarstufe I
Der Vollzug für die Schaffung von Verpflegungsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I wird zu einem späteren Zeitpunkt konzipiert und infolge der kantonalen Zuständigkeit auf Verordnungsebene geregelt. Vorderhand geht es einzig und allein darum, in der neuen Bildungsgesetzgebung die Aufgabe, dass der Schulträger im Bedarfsfall für eine Mittagsverpflegung besorgt ist, zu verankern. Über die Finanzierung und Kostenträgerschaft entsprechender Angebote für Eltern von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I wird der Landrat nach der Inkraftsetzung des neuen Bildungsgesetzes zu beraten und beschliessen haben. Der Regierungsrat geht davon aus, dass für die abgegebene Verpflegung die Eltern einen Betrag zu entrichten haben, der sich am Aufwand für die Zubereitung der Mahlzeit bemisst, und die übrigen Auslagen vom Kanton bestritten werden.
5. Verbindlichkeit der Aufgabe
Dass die Einwohnergemeinden für die Primarstufe und der Kanton für die Sekundarstufe I durch einen entsprechenden Passus im neuen Bildungsgesetz verpflichtet werden sollen, im Bedarfsfall für eine Verpflegungsmöglichkeit der Schülerinnen und Schüler zwischen dem Vormittags- und Nachmittagsunterricht ausserhalb des Elternhauses besorgt zu sein, ist verfassungskonform. Die Verfassung des Kantons Basel-Landschaft vom 17. Mai 1984 legt in § 8 die Gleichberechtigung der Geschlechter fest und auferlegt den Behörden, für die Gleichstellung zu sorgen. Im Rahmen ihrer Zuständigkeit und der verfügbaren Mittel streben die Gemeinden und der Kanton danach, dass gemäss § 17 Frauen und Männer, Mütter und Väter ihren Unterhalt durch Arbeit zu angemessenen Bedingungen bestreiten können. Ferner haben sie sich mit dem 1998 angenommenen Einführungsgesetz zum eidgenössischen Gleichstellungsgesetz vom 27. November 1997 in § 21 Absatz 2 verpflichtet, Massnahmen zur Verwirklichung der Gleichstellung von Frau und Mann im Erwerbsleben zu unterstützen, Buchstabe a nennt dabei ausdrücklich die Verbesserung der Vereinbarkeit beruflicher und familiärer Aufgaben.
Fraglos trägt ein Angebot, das die 5-Tage-Woche, regelmässige Schulbesuchszeiten sowie eine Verpflegungsmöglichkeit über den Mittag ausserhalb des Elternhauses umfasst, zu einer besseren Vereinbarkeit von Erwerbs- und Betreuungsaufgaben von Familien mit schulpflichtigen Kindern entscheidend bei, und es verschafft in einem wichtigen Teilbereich dem Gleichstellungsauftrag, wie er in der basellandschaftlichen Verfassung sowie im Einführungsgesetz zum Gleichstellungsgesetz festgeschrieben ist, Nachachtung.
C. Antrag
Der Regierungsrat beantragt dem Landrat, gemäss beiliegendem Entwurf zu beschliessen.
Liestal, 6. Juli 1999
Im Namen des Regierungsrates
der Vizepräsident: Koellreuter
der Landschreiber: Mundschin