1999-36

Landrat / Parlament || Vorlage 1999-036 vom 17. Februar 1999


Massnahmen zum Abbau der Pendenzen am Verwaltungs und Versicherungsgericht


Geschäfte des Landrats || Hinweise und Erklärungen





1. Ausgangslage

Das Verwaltungsgericht übt die Gerichtsbarkeit in Verfassungs-, Verwaltungs- und Sozialversicherungssachen aus. Sowohl beim Verwaltungs- wie insbesondere beim Versicherungsgericht hat die Zahl der Gerichtsfälle in den letzten fünf Jahren enorm zugenommen.


Das Mengengerüst zeigt folgendes:


)1 inkl. Verfassungsgericht


Die massive Zunahme sowohl im verwaltungs- wie im sozialversicherungsgerichtlichen Bereich hat im wesentlichen zwei Gründe:


Beim Verwaltungsgericht ist - neben der allgemein festzustellenden Zunahme der Beschwerdefreudigkeit - die vermehrte Inanspruchnahme des Gerichts die Folge von Rechtsänderungen, die v.a. im Bundesrecht erfolgt sind. So wird erst seit einigen Jahren für alle Bereiche, bei denen eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht möglich ist, eine kantonale richterliche Instanz verlangt, was mit dem Inkrafttreten der Verwaltungsprozessordnung (VPO) am 1. Januar 1995 im Kanton realisiert worden ist. Dazu kamen neue Bereiche wie etwa die Ueberprüfung von Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. Es ist somit nicht zu erwarten, dass die Zahl der verwaltungsgerichtlichen Fälle wieder zurückgeht; im Gegenteil, wird das Gericht doch auch künftig sich mit zusätzlichen Aufgaben (z.B. Vergabeentscheide bei Submissionen, Tendenz zur Ausweitung des Anwendungsbereichs von Art. 6 EMRK) befassen müssen.


Im Sozialversicherungsbereich herrscht heute nicht nur im Kanton Basel-Landschaft ein rauheres Klima. Sowohl von den Versicherern wie von den Versicherten wird härter und kompromissloser gestritten. Auch hat - wohl nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen - die Beanspruchung der Versicherer zugenommen. Eine Prognose darüber, ob sich die Zahl der Versicherungsfälle auf dem heutigen hohen Niveau einpendelt oder in den nächsten Jahren wieder zurückgeht, ist schwierig und dürfte nicht zuletzt auch von der Wirtschaftslage und dem sozialen Klima abhängen.


Die Konsequenzen der heute bestehenden Rückstände sind gravierend: Die Bearbeitungsdauer ist auf ein Mass gestiegen, das nicht mehr akzeptabel ist. So muss beispielsweise heute bei eingehenden Klagen oder Beschwerden darauf hingewiesen werden, dass die Verfahrensdauer mehr als ein Jahr beträgt. In Wirklichkeit liegt die durchschnittliche Verfahrensdauer z.Zt. bei gegen 18 Monaten. Dem unterzeichnenden Präsidenten sind seit seinem Amtsantritt vor etwas mehr als zwei Monaten bereits mehrere Fälle bekanntgeworden, in denen Betroffene fürsorgeabhängig geworden sind, weil der Entscheid des Versicherungsgerichts zu lange auf sich hat warten lassen. Dieser Zustand ist untragbar. Eine Justiz, die nicht innert angemessener Frist zu einem Entscheid gelangt, kommt einer Rechtsverweigerung nahe.




2. Zielvorstellung


In internen Gesprächen mit den Vizepräsidien, den nebenamtlichen Gerichtsmitgliedern und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller Stufen ist folgendes Ziel als zwar ehrgeizig, aber erreichbar formuliert worden:


„Im Regelfall beträgt die Verfahrensdauer sowohl im verwaltungs- wie im versicherungsgerichtlichen Bereich, gerechnet seit Schluss des Schriftenwechsels bis zum Versand des begründeten Urteils (von da an laufen die Rechtsmittelfristen), drei Monate."


Wird dieses Ziel erreicht, kann auch gegenüber Anwälten bezüglich Fristerstreckungen eine eher zurückhaltende Praxis verfolgt werden. Heute lässt es sich schlecht vertreten, Anwälten bis drei Fristerstreckungen von ca. je einem Monat zu verweigern, wenn derselbe Fall dann ein Jahr und mehr beim Gericht liegenbleibt.


Der Zeithorizont, um dieses Ziel zu erreichen, beträgt 2 Jahre, wobei je nach Entwicklung auch eine Dauer von 3 Jahren nicht ausgeschlossen werden kann.




3. Bereits getroffene Massnahmen


Schon der Vorgänger des jetzigen Präsidenten, Dr. Armin Meyer, hat die Gefahr der drohenden chronischen Ueberlastung klar erkannt. Auf seinen Vorschlag hin hat denn auch der Landrat am 16. April 1997 zwei ausserordentliche Vizepräsidien mit einem Pensum von je 30 % für das Versicherungsgericht gewählt. Der Amtsantritt erfolgte bereits am 1. Juni 1997. Überdies wurden per 1. Januar 1997 zusätzlich eine Gerichtsschreiberstelle und eine halbe Kanzleistelle geschaffen.


Aus heutiger Sicht ist festzustellen, dass es dank dieser Massnahmen während einiger Zeit gelungen ist, bei der Erledigung mit den Neueingängen an Fällen Schritt zu halten. Ein nennenswerter Pendenzenabbau konnte indessen nicht erreicht werden. Die nochmals gestiegene Anzahl an neueingehenden Fällen führte im Gegenteil zu einem weiteren Anwachsen der Rückstände, wenn auch in vermindertem Tempo. Diese Entwicklung dauert bis heute an: So gelang es trotz intensiver Bemühungen auch 1998 nicht, gleichviele Fälle zu erledigen wie an neu eingehenden zu verzeichnen war.


Beizufügen bleibt, dass nach den Feststellungen des unterzeichnenden Präsidenten das Gericht auf allen Ebenen über sehr qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügt. Die Arbeitsorganisation ist gut und die Abläufe sind rationell ausgestaltet. Eine nennenswerte Effizienzsteigerung ist bei gleichbleibenden Ressourcen nicht zu erreichen.




4. Weitere notwendige Massnahmen


4.1. Vorbemerkung :


An der Bearbeitung eines Gerichtsfalles sind in aller Regel eine Vielzahl von Personen auf verschiedenen Ebenen beteiligt:


- das Sekretariat (Kanzlei), welchem die gesamte administrative Bearbeitung (Korrespondenz, Rechnungstellung, Ueberwachung Termine etc.) obliegt,


- das Präsidium bzw. Vizepräsidium als instruierende Person, welche den Fall „abspruchsreif" vorzubereiten hat (Verfahrensleitung),


- die (nebenamtlichen) Mitglieder des Gerichts, welche an der Urteilsfindung teilhaben,


- die Gerichtsschreiber, die einerseits bei der Instruktion und Urteilsfindung beteiligt sind, in erster Linie aber das Urteil zu begründen haben.


Diese vier Ebenen funktionieren nach dem Prinzip des schwächsten Gliedes. Dies bedeutet, dass sie aufeinander abgestimmt sein müssen. Aufgabenverschiebungen von der einen zu einer anderen Ebene sind nur in sehr beschränktem Umfang möglich.




4.2. Personelle Massnahmen :


4.2.1. Verfahrensleitung:


Die bestehende Kapazität von 160 % eines Vollpensums (100 % ordentliches Präsidium, 2 x 30 % a.o. Vizepräsidien) ist - wie oben dargelegt - nicht einmal für die Bewältigung aller neu eingehenden Fälle ausreichend. Die Erfahrung im Jahre 1997 (1. Juni bis 31. Dezember) zeigt, dass die damalige Anzahl Fälle mit diesem Gesamtpensum noch knapp bearbeitet werden konnte. Entsprechend der seitherigen Zunahme muss also die Kapazität um 20 % auf neu 180 % eines Vollpensums erhöht werden.


Die beiden bestehenden a.o. Vizepräsidien für das Versicherungsgericht, Frau lic.iur. Eva Meuli Ziegler und Herr Dr. Andreas Brunner, sind bereit, dieses zusätzliche Pensum je zur Hälfte zu übernehmen.


Damit ist freilich für den Abbau der Pendenzen noch nichts gewonnen. Beim Versicherungsgericht sind per 1.1.1999 340 Gerichtsfälle bereit zum Entscheid durch das Dreiergericht (d.h. ohne Einzelrichterfälle, welche weiterhin dem Präsidenten obliegen). Unter der Annahme, dass pro Sitzung 6 - 7 Fälle entschieden werden können, ergibt sich ein Bedarf von rund 50 - 55 Sitzungen. Dies entspricht gut der Jahreskapazität eines Vollamtes. Bei einer Verteilung auf zwei Jahre ergibt sich somit ein Bedarf für ein 50%-Pensum. Dies soll mittels eines zusätzlichen a.o. Vizepräsidiums abgedeckt werden.




4.2.2. Nebenamtliches Richterkollegium:


Der Grossteil der abzubauenden Pendenzen betrifft das Versicherungsgericht, welches in Dreierbesetzung tagt, wo somit zwei Beisitzer erforderlich sind.


Für die Bewältigung der neu eingehenden Fälle müssen gegenüber 1997 rund 12 Sitzungen mehr angesetzt werden. Dies entspricht 24 Beisitzen oder 3 pro Richter.


Für die Bewältigung der bestehenden Pendenzen sind - wie oben ausgeführt - 50 - 55 zusätzliche Sitzungen, d.h. 100 - 110 Beisitze notwendig. Auf jeden der 8 Richterinnen und Richter entfallen somit rund 13 Sitzungen mehr innerhalb von 2 Jahren, d.h. 6 - 7 zusätzliche Sitzungen pro Jahr.


Insgesamt ergibt sich also pro Mitglied des Gerichts (ohne Präsidium) eine Mehrbelastung von rund 10 Sitzungen. Bisher hatte ein nebenamtliches Gerichtsmitglied an ca. 30 Sitzungen teilzunehmen. Die künftige Beanspruchung würde somit rund einen Drittel mehr betragen.


Damit dürfte die Belastungsgrenze bei einzelnen Richtern überschritten sein. Flankierende Massnahmen sind also unumgänglich:


- die am nächsten liegende Massnahme, die Zuwahl weiterer (ev. a.o.) Richterinnen und Richter, scheitert bedauerlicherweise an der einengenden Bestimmung von § 13 ter des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) vom 30. Oktober 1941, wonach das Gericht „aus einer präsidierenden Person und acht Mitgliedern" besteht (möglich ist nur gemäss § 23 bis GVG ein a.o. Präsidium bzw. - in maiore minus - ein a.o. Vizepräsidium),


- vermehrter Einsatz von Ersatzrichtern. Solche sind von Gesetzes wegen (§ 13 Abs. 5 GVG) die „präsidierenden Personen der übrigen Gerichte". Allerdings handelt es sich gerade beim Sozialversicherungsrecht um ein kompliziertes Spezialgebiet, in welchem sich nur sehr wenige dieser präsidierenden Personen auskennen.


- Unterstützung der nebenamtlichen Gerichtsmitglieder bei der Fallvorbereitung durch die Gerichtsschreiber (Durchsicht von Literatur und Judikatur).


Es ist dennoch nicht zu übersehen, dass die Verfügbarkeit des nebenamtlichen Richterkollegiums bei der Bewältigung der Pendenzen das Nadelöhr bilden dürfte. Dazu kommt das Problem der angemessenen Vergütung: Die heutige Entschädigung eines nebenamtlichen Gerichtsmitglieds setzt sich zusammen aus einem Fixum, der Vergütung für das Aktenstudium und dem Sitzungsgeld (§§ 18 ff. Personaldekret vom 5. Februar 1998). Das Entschädigungssystem samt den heute geltenden Ansätzen stammt aus den Siebzigerjahren, als pro Gerichtsmitglied ca. 20 jährliche Sitzungen angefallen sind. Wegen des gleichbleibenden Fixums wird nun aber mit jeder zusätzlichen Beanspruchung die Gesamtvergütung pro Sitzung geringer. Bereits auf die heutige Belastung mit rund 30 Sitzungen pro Jahr ist die Entschädigungsregelung nicht ausgerichtet. Wenn nun jedes Gerichtsmitglied darüberhinaus um einen Drittel zusätzlich beansprucht wird, so wird der Rahmen, innerhalb dessen die geltende Regelung noch tragbar ist, eindeutig gesprengt. Die Entschädigung ist deshalb im Sinne eines reinen Finanzbeschlusses, also ohne Änderung des diesen Fall nicht vorsehenden Personaldekrets, befristet für eine Zeit von 2 Jahren um ebenfalls einen Drittel zu erhöhen. Dies geschieht sinnvollerweise durch eine ausserordentliche Anhebung des monatlichen Fixums um Fr. 450.-- pro Mitglied, was zusammen mit den zusätzlichen Vergütungen für das Aktenstudium und den zusätzlichen Sitzungsgeldern die angestrebte Erhöhung um einen Drittel ergibt. Pro Jahr macht dies insgesamt für sämtliche Mitglieder Fr. 43'200.-- (Fixumerhöhung) sowie die zusätzlichen, in den §§ 19 und 20 Personaldekret vorgesehenen Sitzungsgelder und Vergütungen für Aktenstudium in der Höhe von Fr. 70'000.--.




4.2.3. Gerichtsschreiber:


Zur Zeit bestehen 6,8 Gerichtsschreiber-Stellen (auf Vollstellen umgerechnet). Dazu werden ständig 2 Volontäre beschäftigt, deren Produktivität natürlich nicht mit jener der Gerichtsschreiber verglichen werden darf.


Die Erfahrung zeigt, dass ein qualifizierter Gerichtsschreiber eines zweitinstanzlichen Gerichts in der Lage ist, rund 60 Urteile pro Jahr zu motivieren (neben der Urteilsredaktion ist der Gerichtsschreiber auch an der Prozessvorbereitung und an der Urteilsfindung beteiligt). Im vergangenen Jahr konnten ca. 80 Urteile noch nicht redigiert werden, was 1,3 Gerichtsschreiber-Stellen entspricht.


Für den Pendenzenabbau ist folgendes zu beachten:


Zum Abspruch bereit sind per 1.1.1999 total 515 Fälle (87 Verwaltungsgericht; 428 Versicherungsgericht ). Unter der Annahme der vorgenannten 60 Urteile pro Gerichtsschreiber und Jahr ergibt sich somit ein Bedarf von rund 8,6 Personenjahren oder verteilt auf 2 Jahre von gut 4 Vollstellen.


Zusammen mit dem Mehrbedarf zur Bewältigung der laufenden Fälle ist somit eine Erhöhung der Gerichtsschreiber-Stellen von derzeit 6,8 auf 12 Vollpensen (wovon 4 befristet) unumgänglich.




4.2.4. Sekretariat (Kanzlei):


Die administrative Verarbeitung der Fälle ist z.Zt. sichergestellt. Der Pendenzenabbau wird jedoch zu einem Mehraufwand führen, der freilich geringer ausfallen dürfte als bei den übrigen Bereichsebenen, da die Pendenzen schon heute einen administrativen Aufwand verursachen. Eine zusätzliche 50%-Stelle (ebenfalls befristet) dürfte ausreichen.




4.3. Sachmittel :


Es müssen 7 Arbeitsplätze (1 a.o. Vizepräsidium, 5 Gerichtsschreiber, 1 Kanzleistelle) mit der heute üblichen Ausstattung (PC) eingerichtet werden.




4.4. Raum :


4.4.1 Gerichtssaal:


Die bestehenden Gerichtssäle (ev. auch jene ausserhalb Liestals) werden besser ausgelastet. Ein Bedarf für zusätzliche Säle besteht nicht.




4.4.2. Büroraum:


Für die 7 neuen Arbeitsplätze muss der notwendige Büroraum geschaffen werden. Dazu sind jedenfalls 4 zusätzliche Büros erforderlich.


Das Verwaltungsgericht verfügt heute über keinerlei Raumreserven.


Der Bedarf ist bei der zuständigen Bau- und Umweltschutzdirektion bereits angemeldet.




5. Kosten


Die jährlichen zusätzlichen Lohnkosten belaufen sich brutto auf rund Fr. 700'000.-- (50 % + 20 % a.o. Vizepräsidium; 5,3 Gerichtsschreiberstellen; 0,5 Stelle Kanzlei), wovon ca. Fr. 550'000.-- vorübergehende Ausgaben sind.


Dazu kommen rund Fr. 113'200.-- für zusätzliche Richterentschädigungen sowie die Infrastrukturkosten.




Zusammenfassend unterbreitet das Verwaltungsgericht dem Landrat folgende Anträge:


1. Die beiden bestehenden a.o. Vizepräsidien des Versicherungsgerichts von lic.iur. Eva Meuli Ziegler und Dr. Andreas Brunner werden von derzeit je 30 % auf 40 % erhöht.


Zugleich wird ein weiteres a.o. Vizepräsidium von 50 % für die Dauer von 2 Jahren geschaffen.


2. Für die zusätzlichen Entschädigungen der nebenamtlichen Gerichtsmitglieder wird das Konto 4001.300.30 für das laufende Jahr um Fr. 75'300.-- erhöht (ab 1.5.99).


3. Das Konto 4001.301.10 (Löhne) wird um Fr. 467'000.-- erhöht (ab 1.5.99).


4. Es wird zur Kenntnis genommen, dass im Jahre 2000 gegenüber heute Zusatzkredite von Fr. 813'200.-- (Kto. 4001.300.30 Fr. 113'200.--; Kto. 4001.301.10 Fr. 700'000.--) benötigt werden.




Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft


Der Präsident: Dr. P. Meier


Der Gerichtsschreiber: M. Schäfer



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