1999-34 (1)

Landrat / Parlament || Vorlage 1999-034 vom 10. August 1999


Beantwortung der Schriftlichen Anfrage von Rosy Frutiger, Grüne Fraktion, Birsfelden: "Warum glaubt mir niemand?" (99/034)


Geschäfte des Landrats || Hinweise und Erklärungen





Vom 10. August 1999

Am 11. Februar 1999 hat Rosy Frutiger eine Schriftliche Anfrage betreffend "Warum glaubt mir niemand?" eingereicht. Die Schriftliche Anfrage hat folgenden Wortlaut:


"Unter dem Namen "Warum glaubt mir niemand?" hat sich eine Gruppe von Müttern von sexuell ausgebeuteten Kindern zu einer Selbsthilfegruppe zusammengeschlossen. Grundtenor ist die mangelhafte Unterstützung beim KJPD.


Folgende Punkte werden von der Gruppe kritisiert:




Aus diesem Hintergrund ergeben sich für mich folgende Fragen, die ich den zuständigen Regierungsrat zu beantworten bitte:



Der Regierungsrat nimmt zur Schriftlichen Anfrage wie folgt Stellung:

Der Regierungsrat hat immer festgehalten - auch im Parlament - dass er diese Art von Delikten, den sexuellen Missbrauch von Kindern - besonders verabscheuungswürdig findet und alles in seiner Macht stehende unternimmt, damit diese Delikte nicht im Verborgenen bleiben und die Täterschaft bestraft wird. Die vorliegende Schriftliche Anfrage kann aber die Vermutung aufkeimen lassen, der Kanton und seine Behörden seien passiv geblieben. Dass dem nicht so ist, mögen einige wenige Stichworte beispielhaft belegen:


§ 40 StPO Ausschluss von der Teilnahme


1 Die Verfahrensleitung kann die angeschuldigte Person von der Teilnahme an Beweiserhebungen ausschliessen, wenn


2 Dasselbe gilt sinngemäss für die Verteidigung der angeschuldigten Person, soweit bei dieser Gründe nach Absatz 1 vorliegen.


3 Bei Ausschluss der angeschuldigten Person ist ihr Gelegenheit zu geben, Einvernahmen von Zeuginnen, Zeugen, Auskunftspersonen und sachverständigen Personen durch ihre Verteidigung oder auf andere geeignete Weise mitzuverfolgen oder davon Kenntnis zu erhalten sowie Fragen und Anträge zu stellen.


Besondere Umstände, wie sie dieser Paragraph voraussetzt, sind namentlich Drohungen physischer oder psychischer Natur gegenüber diesen Personen.


Nur nebenbei sei bemerkt, dass die Frage des Einsichtsrechtes von Müttern in Gutachten einlässlich von der landrätlichen Justiz- und Polizeikommission im Rahmen der StPO behandelt wurde.



Zu den einzelnen Fragen:


Frage 1: " Wieviele Anzeigen betr. sexuellen Missbrauch an Kindern wurden im vergangenen Jahr im Kanton BL gemacht und wieviele Verurteilungen sind zustande gekommen?"


1998 gingen 45 Anzeigen wegen Handlungen gegen die sexuelle Integrität von Kindern unter 16 Jahren ein. 20 Fälle wurden polizeilich ermittelt und an die Statthalterämter weitergeleitet. In 25 Fällen ist die Täterschaft unbekannt geblieben, beim grösseren Teil dieser Fälle handelt es sich um Exhibitionismus. Solche Täter sind erfahrungsgemäss für mehrere Straftaten verantwortlich, können aber nicht immer ermittelt werden.


Am Strafgericht erfolgten im Jahre 1998 vier Verurteilungen. Die Ueberweisungsbehörde verzeichnete im gleichen Zeitraum einen Strafbefehl und eine Verfahrenseinstellung.


Die grosse Schwierigkeit bei dieser Art von Delikten liegt darin, dass sie sich sehr oft in ganz engen und intimen persönlichen Beziehungssystemen abspielen. Daraus ergeben sich sehr viele Faktoren, die das Anzeigeverhalten beeinflussen und oft sogar hemmen. Oft wird auch erst nach sehr langer Zeit Strafanzeige eingereicht - dies macht den Nachweis eines sexuellen Übergriffes beinahe unmöglich.



Frage 2: " Wieviele Fälle wurden 1998 dem KJPD gemeldet und wieviele davon ans Gericht weitergeleitet?"


Anzeigen werden von den Untersuchungsbehörden nicht dem KJPD gemeldet, sondern allenfalls mit dem Einverständnis der Geschädigten oder deren Eltern gemäss Opferhilfegesetz OHG an die Opferberatungsstellen. Die Untersuchungsbehörde erteilt dem KJPD aber nicht in jeder Strafuntersuchung wegen sexuellen Kindsmissbrauchs einen Gutachterauftrag. In strafrechtlicher Hinsicht wird der KJPD ohnehin in der Regel nur unter den Aspekten des Ausmasses der Schädigung des Kindes oder der Überprüfung der Glaubhaftigkeit seiner Aussagen gutachterlich tätig. Die eigentlichen Sachverhaltsabklärungen nimmt das Statthalteramt vor. Bei Kleinkindern wird der KJPD in der Regel von Anfang an mit in die Sachverhaltsabklärungen miteinbezogen.


Der KJPD hat 1998 insgesamt 56 Kinder und Jugendliche betreut, bei denen entweder der Verdacht auf sexuelle Übergriffe bestand (36) oder der Verdacht klinisch gesichert war (11). Von diesen Patienten sind dem KJPD 25 neu 1998 gemeldet worden. Bei den Neuanmeldungen geht es nicht nur um den Verdacht auf aktuelle sexuelle Übergriffe, sondern - beziehungsweise auch - um Jugendliche, die ihre zum Teil lange Zeit zurückliegende Missbrauchsgeschichte aufarbeiten möchten (und sich im Vorfeld über die Schweigepflicht des KJPD absichern).


Dem Gericht sind vom KJPD direkt keine Fälle zugeleitet worden. Mit allen Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen wurde aber jeweils die Frage einer Anzeige besprochen. Wenn sich jemand zur Anzeige entschloss, wurden die Betroffenen in diesem Vorhaben unterstützt. Der KJPD erstattet aber dann Anzeige, wenn eine solche trotz Fortsetzungsgefahr von Missbrauch von Angehörigen oder involvierten Helfersystemen nicht gemacht würde.



Frage 3: " Wieviel Gutachten wurden in Auftrag gegeben, wieviele davon ans Gericht weitergeleitet?"


Der KJPD wird nicht nur in Strafverfahren mit Gutachten zu sexuellem Missbrauch beauftragt, sondern auch in vormundschaftlichen Kinderschutzverfahren und in Ehescheidungsverfahren und ist zudem auch privat therapeutisch tätig.


1998 erstellte der KJPD sieben Gutachten mit der Fragestellung "sexuelle Übergriffe". Der KJPD bemüht sich, Gutachten so schnell wie möglich zu erstellen, möglichst im Zeitraum von drei bis maximal neun Monaten - je nach Komplexität der Gesamtsituation.


Generell ist zu bemerken, dass der KJPD Gutachten in zivilrechtlichen Angelegenheiten zu Handen der Bezirksgerichte erstellt. In Strafverfahren wird ein Gutachten der auftraggebenden Untersuchungsbehörde zu Handen der Strafuntersuchungsakten zugeleitet.



Frage 4: " Werden die medizinischen Untersuchungen vom KJPD zu Beginn oder erst im Verlauf einer Befragung veranlasst?"


In Strafverfahren werden sämtliche Untersuchungen zur Beweisabklärung von den Statthalterämtern veranlasst. Medizinische Untersuchungen - zum Beispiel zur Sicherung von Spermaspuren oder zur Dokumentation von Verletzungen - werden infolge Dringlichkeit sofort veranlasst. Dringlich sind diese Untersuchungen allerdings dann nicht, wenn ein zur Anzeige gebrachter Vorfall bereits längere Zeit zurückliegt und allfällige Spuren deshalb nicht mehr bestehen.


Der KJPD veranlasst üblicherweise je nach Indikation und Dringlichkeit (z.B. nach einer Vergewaltigung sofort) selbst die kinder- und jugendgynäkologischen Untersuchungen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen, je nach dem auch kindergynäkologische Befunde, die dem KJPD mit den Akten zukommen, werden stets in die Beurteilung miteinbezogen und im Gutachten entsprechend dokumentiert.



Frage 5: " Werden die medizinischen Befunde, die dem KJPD übergeben wurden, vom KJPD an die zuständigen Untersuchungsbehörden weitergeleitet?"


Die Ergebnisse der vom Statthalteramt in Auftrag gegebenen medizinischen Abklärungen werden naturgemäss direkt zugestellt. Andere, auch privat veranlasste Abklärungen können aufgrund der §§ 16 und 17 des kantonalen Gesundheitsgesetzes angefordert werden. § 16 des Gesundheitsgesetzes hält im Absatz 2 fest, dass die Medizinalpersonen gegenüber der Strafverfolgungsbehörde von der Schweigepflicht befreit sind in Bezug auf Wahrnehmungen, die auf ein Verbrechen oder Vergehen gegen Leib und Leben oder die Sittlichkeit schliessen lassen. Gemäss § 17 des Gesundheitsgesetzes besteht bei Todesfällen oder schweren Körperverletzungen sogar eine Meldepflicht.


Medizinische Befunde, die dem KJPD übergeben werden, fliessen selbstverständlich in die Beurteilung mit ein und werden entsprechend berücksichtigt.



Frage 6: " Welchen Stellenwert hat das Wohl des Kindes innerhalb des Abklärungsprozesses?"


Das Wohl des Kindes hat Priorität, wie auch der Schutz vor weiteren Übergriffen. "Kindswohl" meint, dem Kind gemäss seiner eigenen biologischen Gegebenheiten ein Höchstmass an Pflege, Beziehungsangebot, Erfahrungs- und Lernangebot zu ermöglichen, damit es sich so ungehindert wie möglich psychisch und physisch entwickeln kann.


Bei der Einleitung einer Strafuntersuchung wegen sexuellen Kindsmissbrauchs werden gemäss den Artikeln 358bis und 358ter die Vormundschaftsbehörden benachrichtigt, wenn gleichzeitig Kinderschutzmassnahmen als geboten erscheinen. Eine weitere Betreuung kann durch die Vermittlung der Opferhilfeberatungsstellen erfolgen (z.B. ärztliche und anwaltliche Hilfe). Während der Untersuchung stehen den Kindern zudem bestimmte Verfahrensrechte zu (Begleitung durch eine Vertrauensperson; das Recht, die Aussage zu die Intimsphäre betreffenden Fragen zu verweigern; wenn immer das nicht zwingend von den Rechten des Angeschuldigten verlangt wird, keine Konfrontation mit dem Tatverdächtigen, oder nur wenn sich dies als unbedingt notwendig erweist und dann in einer Weise, die möglichst dem Kindeswohl Rechnung trägt).


Liestal, 10. August 1999
Im Namen des Regierungsrates
Der Vizepräsident: Koellreuter
Der Landschreiber: Mundschin


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