Vorlage 1999-027: Massnahmenpaket zum Schutz von Augusta Raurica

Landrat / Parlament || Inhalt der Vorlage 1999-027 vom 9. Februar 1999


Massnahmenpaket zum Schutz von Augusta Raurica mit Änderungen des Regionalen Detailplanes „Augusta Raurica" (Kant. Nutzungsplan) und Krediterteilung für Landerwerb


Geschäfte des Landrats || Hinweise und Erklärungen





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3 DAS IM BODEN KONSERVIERTE ANTIKE STADTQUARTIER „OBERMÜLI/PFÄFFERLÄDLI" IST BEDROHT


3.1 Lange Planungsphase für eine moderne Überbauung


Mit Einsprachefrist 14. Oktober 1996 haben die beiden Grundeigentümer, die „Ehinger Familienstiftung Pfäfferlädli" für Parzelle 166 und die Erbengemeinschaft Gessler-Hohler Ludwig für Parzelle 168, die Baugesuche Nr. 2093/96, 2094/96 und 2095/96 für eine gemeinsam geplante Überbauung mit 36 Wohnungen und Tiefgarage eingereicht. Den Baugesuchen gingen mehrjährige Planungen und verschiedenste Kontakte mit der Kantonalen Verwaltung voraus (RRB Nr. 2983 vom 30. November 1993, RRB Nr. 2116 vom 23. August 1994 und RRB Nr. 70 vom 3. Januar 1995). Schon vor Einreichen der Baugesuche hat das Amt für Liegenschaftsverkehr im Auftrag der Regierung der Ehinger Familienstiftung Pfäfferlädli Tausch- und Kaufangebote gemacht, die jedoch alle abgelehnt worden sind.


Mit RRB Nr. 1068 vom 29. April 1997 hat die Regierung auf die Baugesuche reagiert und eine archäologische Grabung auf den Parzellen 166 und 168 auf die Jahre 1999 bis 2001 angeordnet. Der Regierungsrat ist inzwischen, mit seinen Beschlüssen Nr. 2929 vom 9. Dezember 1997 und Nr. 1585 vom 4. August 1998, zu einer Neueinschätzung der kulturgeschichtlichen Bedeutung dieses Areales gelangt (s. Begründung unten) und will das im Boden unversehrt erhaltene antike Quartier durch Landkauf sichern und damit verhindern, dass dieses durch die massiven Bodeneingriffe einer grossflächigen Überbauung vollständig und unwiederbringlich zerstört wird.


3.2 Archäologische Prospektion und Luftbildauswertung


Die beiden Parzellen 166 und 168 liegen zwischen archäologischen Ausgrabungen, die man bereits 1929/30 im Westen und 1984 im Osten des Areales durchgeführt hat. Das sind die Referenzen, zwischen denen sich die archäologische Situation auf den erwähnten Parzellen interpolieren lässt. Die Erkenntnisse werden ergänzt durch Rammkernbohrungen, welche der Kanton 1993 durchführen liess sowie neue und neuste Luftbildbefunde von 1990 und 1995 und deren Auswertung von 1997.


Die erwähnten alten Grabungsbefunde an der Peripherie sowie die 1993 veranlassten Rammkernbohrungen konnten nachweisen, dass im besagten Areal ungestörte antike Kulturschichten 1,5 bis 3,5 m tief anstehen. Dies bedeutet, dass sich hier nicht nur Zeugnisse einer Generation erhalten haben, sondern die Bau- und Nutzungsschichten der ganzen Siedlungsdauer von Augusta Raurica vom 1. Jahrhundert n. Chr. bis zum 4. Jahrhundert.


Die Gesamtheit dieser archäologischen Grabungsbefunde und Prospektionen führte in den letzten Jahren zu folgenden Erkenntnissen:


3.3 Was stand einst im Areal „Obermüli/Pfäfferlädli" ?


Das topographisch zur „Oberstadt" von Augusta Raurica gehörende Areal war vom 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr. dicht bebaut. Man muss von einem voll erschlossenen Quartier innerhalb des urbanen Zentrums der antiken Stadt ausgehen.


Die Detailanalysen der aus den Luftbildern ablesbaren Mauerfluchten in den Parzellen 166 und 168 lassen - in den erkennbaren jüngsten (obersten) Strukturen - auf römische Langhäuser mit kleinen Hinterhöfen sowie auf einige kleinräumige, architektonisch eng gegliederte Spezialeinbauten schliessen, bei denen es sich z. B. um private Badeanlagen handeln könnte. Mit den Luftbildern sind allerdings nur die obersten, jüngsten Überbauungsspuren in Fragmenten zu erfassen, nicht jedoch die darunterliegenden, älteren Strukturen von mindestens fünf weiteren Generationen.


Im 4. Jahrhundert n. Chr., als die übrige Oberstadt bereits zerstört war, stand hier, nur 30 m neben der Parzelle 166, ein massiver Befestigungsturm, welcher aufgrund jüngster Forschungen vom Winter 1997/98 Teil eines weiträumigen Bewachungs- und Verteidigungskonzeptes des spätrömischen Heeres entlang des Hochrheins war. Lesefunde auf der Ackeroberfläche von verzierten Trinkgläsern, Teilen der militärischen Ausrüstung und anderen Objekten auf den Parzellen 166 und 168 beweisen, dass auch das Areal „Obermüli/Pfäfferlädli" noch im 4. Jahrhundert genutzt wurde. Die allermeisten archäologischen Befunde hierzu stecken noch unberührt und undokumentiert im Boden.


Mit Ausnahme der im Zuge des Autobahnbaus in den sechziger Jahren erforschten Westtorstrasse und ihrer Umgebungsbebauung ist bis heute kein Quartier entlang einer Ausfallachse in Augusta Raurica wissenschaftlich untersucht. Die Grösse der von den Grundeigentümern geplanten Überbauung der Parzellen 166 und 168 von rund 10'000 m2 hätte zur Folge, dass ein ganzes römisches Häuserviertel vollständig sowie zwei weitere Häuserblocks teilweise zerstört würden.


3.4 Drei Baugesuche für eine gemeinsam geplante Quartier-Grossüberbauung


Die beiden Landeigentümer haben auf den Parzellen 166 und 168, dem Geländesporn mit den Flurnamen „Obermüli" bzw. „Pfäfferlädli", eine grosse Überbauung mit mehreren Häuserblocks mit 36 Wohnungen und einer Tiefgarage gemeinsam geplant und mit drei Baugesuchen (Nr. 2093/96, 2094/96 und 2095/96) im Oktober 1996 eingereicht.


Schon lange vorher hatten der eine Bauherr, Herr Alphonse Ehinger, und sein Architekt mit der archäologischen Fachstelle und Mitgliedern des Regierungsrates Kontakt aufgenommen. Sämtliche Vorschläge und Kompromisse zur Einschränkung des Grabungsvolumens und der Kulturgüterzerstörung wurden jedoch von der Bauherrschaft abgelehnt, so z. B. durch die Verlegung der Tiefgarage unter statt zwischen die Häuserblocks oder das 1975 mit einer ETH-Machbarkeitsstudie entwickelte und inzwischen (1998) bewährte „Bauen über den Ruinen".


So wurde 1996 ein Projekt eingereicht, das den Grossteil der 10'000 m2 umfassenden Baufläche mit unterkellerten Hochbauten, Tiefgarage, Einfahrtsrampe und Leitungsgräben tangiert, so dass die Realisierung eine ganzflächige Ausgrabung und anschliessende Zerstörung dieses antiken Quartiers zur Folge hätte. Mit RRB Nr. 1068 vom 29. April 1997 hat die Regierung zwar darauf reagiert und eine archäologische Grabung auf den Parzellen 166 und 168 auf die Jahre 1999 bis 2001 angeordnet, in der Zwischenzeit aber mit der Verhängung einer Planungszone davon Abstand genommen (s. oben und unten).


Das Areal „Obermüli/Pfäfferlädli" kann nicht von der übrigen Römerstadt Augusta Raurica separiert betrachtet werden. Die ganze antike Stadt ist 1968 vom Bundesrat als Objekt von nationaler Bedeutung erklärt worden. Die im Areal zu erwartenden archäologischen Schichtvolumina, die Dichte der Quartierüberbauung (Luftaufnahmen!) und insbesondere die Komplexität der Stratigraphie (Schichtenfolge bis 3,5 m) führen zwangsläufig zur Neubeurteilung der Situation aus der Sicht der Archäologie und Kulturgütererhaltung im betroffenen antiken Quartier: Derart komplexe Strukturen auf einer Fläche von rund 10'000 m 2 können auch mit einer noch so grossen Ausgrabungsequipe nicht in drei Jahren erforscht und dokumentiert werden. Ein derartiges Unterfangen käme einem kulturpolitischen Massaker gleich.


3.5 Konsequenzen, Dauer und Kosten einer allfälligen grossangelegten Notgrabung


Um dem totalen Verlust von historischen Denkmälern, ihrer archäologischer Zusammenhänge und den vielfältigen Erkenntnismöglichkeiten entgegenzuwirken, wendet die moderne Archäologie ein ausgeklügeltes System von Freilegungstechniken, eine umfassende wissenschaftliche Dokumentation in Vermessung, Zeichnung, Fotografie und Beschreibung, ein aufwendiges Fundkonservierungs-Knowhow sowie interdisziplinäre, geistes- und naturwissenschaftliche Auswertungsmethoden an. Solche Verfahren sind sehr teuer. Als Erfahrungswerte gelten heute Fr. 620.- bis 1000.- Grabungskosten pro Kubikmeter Kulturschicht (+ bestehende Personal- und Infrastruktur) und nochmals derselbe Betrag für Fundkonservierung, wissenschaftliche Auswertung und Veröffentlichung. Eine wesentlich längere Ausgrabungsdauer für die 10'000 m2 im Areal „Obermüli/Pfäfferlädli" ermöglichte zwar eine gewissenhafte archäologische Erforschung und Dokumentation der römischen Bauten und Schichten, doch auch sie könnte nicht verhindern, dass ein ganzes römisches Quartier ein für alle Mal zerstört würde.


Zum Vergleich: Im 10'000 m2 grossen, geplanten Bauperimeter von „Obermüli/Pfäfferlädli" müssten im Falle einer Überbauung etwa 25'000 Kubikmeter römische Kulturschichten in einer gigantischen Notgrabung von noch nie gehabtem Ausmass archäologisch untersucht werden. Dieses Volumen entspricht etwa der Summe sämtlicher archäologischer Notgrabungen der letzten 16 Jahre in Augst : Zwischen 1983 und 1998 wurden insgesamt 20'641 Kubikmeter archäologische Sedimente auf einer Gesamtfläche von 13'445 m2 anlässlich von Notgrabungen untersucht. Laut Staatsrechnungen wurden hierfür in diesen 16 Jahren Fr. 10'834'972.- allein zu Lasten des Sachkontos „Ausgrabungen" ausgegeben. Eine Vollkostenrechnung, d. h. die effektiven Ausgrabungs- und Fundkonservierungskosten inklusive Löhne des festangestellten Stabes und Materialaufwand (aber ohne Infrastruktur, Räume, EDV) belaufen sich in diesen 16 Jahren bzw. für ein Grabungsvolumen von über 20'000 Kubikmeter auf 24 Mio. Franken !


3.6 Fazit


Da das Areal „Obermüli/Pfäfferlädli" in seiner topographischen Ganzheit bis heute, d. h. während 1500 Jahren, unangetastet blieb und sich so optimal erhalten konnte, ist es aus heutiger Sicht nicht zu verantworten, dass ein grosser, zusammenhängender Teil dieser geschützten historischen Einheit von nationaler Bedeutung mit einem Millionenaufwand von einer einzigen Generation für immer zerstört wird.


Es handelt sich um die letzte ganz grosse Fläche, die innerhalb der dicht besiedelten antiken Stadt liegt, sich in privatem Eigentum befindet und im Falle einer Überbauung zur Zerstörung mehrerer römischer Quartiere führen würde. Diese Vorlage ist somit die letzte grossflächige Massnahme zur „Sicherstellung von Augusta Raurica". Auch wenn hiermit der Einwohnergemeinde Augst im „Oberdorf" eine grössere bauliche Entfaltung verunmöglicht wird, so besteht doch im „Unterdorf" am Rhein eine Entwicklungsmöglichkeit ausserhalb des römischen Stadtzentrums, wie die gegenwärtig dort entstehende Siedlung „Baumgarten" mit über 70 Wohneinheiten beweist.


Fortsetzung


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