Perspektiven: Einfache Sprache
Um an Informationen zu gelangen, ist es wichtig, dass Texte verstanden werden. Ein Drittel der Schweizer Bevölkerung hat aber Mühe damit, standardsprachliche Texte zu lesen und zu verstehen. Hier kommt die «einfache Sprache» ins Spiel. Sie hilft dabei, Texte zu vereinfachen, und sorgt damit dafür, dass mehr Menschen mit den Informationen erreicht werden können. - Interview mit Cornelia Kabus vom Büro «Ach so! endlich verständlich»
Text: FIBL, Foto: Cornelia Kabus
Frau Kabus, Sie leiten das Büro «ACH SO! endlich verständlich» in Basel. Können Sie kurz Ihre Arbeit vorstellen?
Bei meiner Tätigkeit geht es grob gesagt darum, komplexe, vor allem schriftliche Informationen so umzuformulieren, dass möglichst viele Menschen sie verstehen können. Ich bin Kommunikationsfachfrau und komme ursprünglich aus dem redaktionellen Bereich. Vieles an meiner jetzigen Tätigkeit ist mit der Arbeit einer Redaktorin vergleichbar. Es handelt sich also nicht – wie oft irrtümlicherweise angenommen wird – um eine Übersetzungsarbeit, denn der Ausgangstext ist bereits auf Deutsch. Deshalb muss ich bei jedem Text aufs Neue schauen, wie ich ihn schreibe. Ich kann nicht auf Wörterbücher zurückgreifen oder auf bereits vorhandene Texte in leichter oder einfache Sprache, da Kontext und Ausgangslage jedes Mal anders sind.
Ein weiterer wichtiger Zweig meiner Arbeit ist die Wissensvermittlung zum Thema leicht verständliche Sprache. Ich gebe Weiterbildungen für Einzelpersonen und entwickle massgeschneiderte Workshops für Unternehmen und Betriebe.
Cornelia Kabus
Die Kommunikationsfachfrau hat eine langjährige Erfahrung als Redaktorin, Übersetzerin und Grafikerin. Bis Dezember 2022 leitete sie das «Büro Leichte Sprache Basel». Es wurde im Jahr 2014 als erstes Angebot dieser Art in der Schweiz vom WohnWerk Basel gegründet. Inzwischen hat Cornelia Kabus das Büro übernommen und führt es selbständig unter dem Label «ACH SO!» weiter.
Neben der «einfachen Sprache» gibt es auch noch die «leichte Sprache». Ist das dasselbe oder gibt es Unterschiede?
Die Bezeichnungen und Konzepte sind in verschiedenen Kontexten entstanden, weshalb die Begriffe zwar ähnlich klingen, aber unterschiedliche Text- bzw. Sprachformen meinen. Das stiftet leider viel Verwirrung.
Der wichtigste Unterschied liegt in den Zielgruppen. Die leichte Sprache richtet sich vor allem an Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung. Sie ist somit die einfachste Form leicht verständlicher Sprache: Möglichst alle Menschen, die lesen können, sollten diese Texte verstehen. Leichte Sprache ist ein Hilfsmittel – ähnlich wie ein Rollstuhl für Menschen, die nicht laufen können. Das merkt man den Texten auch äusserlich an.
Damit ein Text wirklich in leichter Sprache ist, gibt es verschiedene Regeln, die befolgt werden sollten. Am Schluss muss der Text geprüft werden. Dafür arbeite ich mit einer sogenannten Prüfgruppe – Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung. Ich lasse sie die Texte lesen und versuche herauszufinden, was sie verstanden haben und was ich verbessern muss.
Die einfache Sprache verwendet fast alle Regeln der leichten Sprache, aber nicht alle gleichzeitig. Sie richtet sich an unterschiedliche Zielgruppen, die aus verschiedenen Gründen Mühe mit standardsprachlichen Texten haben, zum Beispiel aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung oder einer beginnenden Demenz, weil sie fremdsprachig sind oder eine Lernschwäche haben. Je nach Zielgruppe wähle ich aus, welche und wie viele Regeln ich anwende. Dadurch kann ich den Schwierigkeitsgrad anpassen. Texte in einfacher Sprache bewegen sich also flexibel im Spektrum zwischen leichter Sprache und Standardsprache.
Im Gegensatz zur einfachen Sprache gibt es die leichte Sprache nur schriftlich: Sie soll den selbständigen Zugang zu schriftlichen Informationen ermöglichen. Da unser Hörverständnis besser ist als unser Leseverständnis, genügt in der mündlichen Kommunikation die einfache Sprache.
Woran erkennt man einfache Sprache und weshalb ist sie wichtig? Können Sie uns ein bis zwei Beispiele aus dem Migrationsbereich geben?
Bei Texten in einfacher Sprache achte ich darauf, dass Absätze im Text nicht zu lang werden. Auch verzichte ich auf zu viele Nebensätze und vermeide Schachtelsätze. Ich erkläre Fremd- und Fachwörter, bei denen ich nicht davon ausgehen kann, dass die Zielgruppe sie versteht. Insgesamt verwende ich nicht zu viele Substantivierungen, Passivkonstruktionen und doppelte Negationen.
Je nach Schwierigkeitsgrad kann es deshalb sein, dass Sie einen Text in einfacher Sprache gar nicht immer als solchen erkennen. Die Leser haben dann allenfalls den Eindruck, dass zum Beispiel der Verwaltungstext ungewöhnlich flüssig zu lesen ist.
Im Gegensatz zur leichten Sprache, die nur für die schriftliche Kommunikation gedacht ist, kann man einfache Sprache auch im Gespräch einsetzen. Hier gilt es dann noch weitere Faktoren zu beachten, die nicht nur sprachlicher, sondern auch psychologischer Natur sind. Wenn zum Beispiel eine Ärztin einem Patienten aus Afghanistan eine Diagnose mitteilt, sollte sie darauf achten, dass sie keine Fachwörter verwendet und auch keine Begriffe aus der Bildungssprache. Gleichzeitig sollte sie daran denken, dass jeder Mensch – egal, wie gut er die Sprache versteht – in einer solchen Situation gestresst ist. Es geht vielleicht um Leben und Tod oder um eine Zukunft mit einer schweren Krankheit. Da kann die Ärztin nicht erwarten, dass ihr Gegenüber komplexen Zusammenhängen folgen kann.
Wenn sich Texte in einfacher Sprache an Migrantinnen richten, kann das Leseverständnis je nach Sprachkompetenz sehr unterschiedlich sein. Auch spielt eine Rolle, ob die Personen mit dem Deutschen nicht nur eine neue Sprache lernen, sondern auch eine neue Schrift. Und dann kommen die Menschen sowohl aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen als auch aus verschiedenen sozialen Schichten. Bei einer Universitätsprofessorin aus Aleppo kann ich ein anderes Vorwissen voraussetzen als bei einem Bauern aus Anatolien. Im letzteren Fall ginge es daher nicht nur um sprachliche Vereinfachungen, sondern auch um Wissensvermittlung.
In der Vorbereitung auf unser Interview haben Sie unsere Website unter die Lupe genommen. Was ist Ihnen am meisten aufgefallen? Ist das typisch für die Verwaltung?
Besonders ins Auge gestochen ist mir der Nominalstil. Der entsteht, wenn man Verben in Substantive, also Nomen, umwandelt. Der Text wird dadurch unpersönlich und unlebendig, was seriös und auch einschüchternd wirken kann. Und ja, das ist sehr typisch für Verwaltungstexte.
Insgesamt sind Ihre Texte aus der Perspektive der Verwaltung formuliert. Ich sehe zum Beispiel, dass es oft darum geht, sich durch das Zitat von Paragraphen rechtlich abzusichern. Aus Sicht des Kantons ist das verständlich, doch sind Informationstexte auf Websites nicht das richtige Medium dafür. So entstehen Texte, die ein wenig wie AGB wirken und deshalb vermutlich weder sorgfältig gelesen, noch verstanden werden.
Infobox: Die einfache Sprache in der kantonalen Verwaltung Gemäss dem Informations- und Kommunikationskonzept von Regierungsrat und Verwaltung soll die Verwaltung "in einer zeitgemässen und allgemein verständlichen Sprache" kommunizieren. |
Was können Verwaltungen und Fachstellen konkret unternehmen, um ihre Informationen besser verständlich zu machen? Wo können sie sich hinwenden bei Fragen? Gibt es ein Label?
Es gibt viele Möglichkeiten, Sprache zu vereinfachen. Nominalstil, Passivkonstruktionen und Partizipien sind in der Behördensprache sehr beliebt. Darauf sollte man möglichst verzichten. Und ganz wichtig ist es, sich in die Zielgruppe hineinzuversetzen. Nur weil ich täglich mit meinem Fachgebiet zu tun habe, heisst das nicht, dass auch fachfremde Personen verstehen, wovon ich rede oder schreibe.
Einfach schreiben klingt simpel, ist es aber nicht. Deshalb gibt es die Möglichkeit, die Texte von einer Fachperson schreiben zu lassen. Oder man kann die Mitarbeitenden mit einer Weiterbildung für bürgernahe oder einfache Sprache sensibilisieren.
Zu Ihrer Frage nach einem Label: Es gibt unterschiedliche Gütesiegel für einfache oder leichte Sprache. Allerdings sind diese von den Anbietenden selbst eingeführt worden, weshalb sie nicht aussagekräftig sind. Es müsste eine unabhängige Stelle geben, welche die Texte kontrolliert und ein solches Label vergibt. Aber das ist unrealistisch. An dieser Stelle müssten linguistische Fachpersonen sitzen, die ausserdem Zeit hätten, alle diese Texte zu prüfen. Und wer würde diese Arbeit bezahlen?
Seit einigen Jahren gibt es Bestrebungen, eine ISO-Norm für einfache Sprache einzuführen. Ich sehe das mit Skepsis, denn Sprache ist nicht Mathematik. Selbst eine ISO-Norm würde nicht gewährleisten können, dass die Texte wirklich verständlich sind. Sie gibt aber den Autoren und Auftraggebern das Gefühl von Qualität, ohne dass unbedingt Qualität vorhanden sein muss. Und das schadet den Zielpersonen nur.
Umso wichtiger ist deshalb, dass jeder Anbieter ein hohes Qualitätsbewusstsein hat und Aufträge auch mal zurückweist, wenn es zeitlich oder aus anderen Gründen schwierig ist, einen Auftrag umzusetzen.
Gibt es Bereiche, wo sich einfache Sprache nicht eignet, z.B. bei amtlichen Verfügungen? In welchen Bereichen müsste aus Ihrer Sicht unbedingt einfache Sprache angewendet werden? (Beispiele aus der Verwaltung)
Die einfache Sprache eignet sich eigentlich für alle Bereiche, es kommt nur darauf an, welchen Grad der Vereinfachung man wählt. Insgesamt würde ich für alle Verwaltungstexte die sogenannte «bürgernahe Sprache» wählen. Sie ist unserer Standardsprache sehr ähnlich, doch verzichtet sie möglichst auf Elemente wie Substantivierungen, Passiv, Partizipialkonstruktionen oder doppelte Verneinungen. Zum Beispiel in den Abstimmungsunterlagen wäre das besonders wichtig. Ich male mir oft aus, wie sich die meist sehr komplexen Formulierungen jeweils auf die Abstimmungsergebnisse auswirken. Und gerade amtliche Verfügungen sollten doch für alle verständlich sein. Was nützt eine Verfügung, wenn sie zwar juristisch korrekt verfasst ist, vom Empfänger aber nicht verstanden wird?
Damit sind wir auch bei der zweiten Frage. Kommunikation, die niemanden erreicht, ist nutzlos. Deshalb muss ich meine Sprache dem Gegenüber anpassen. Das gilt insbesondere für die Korrespondenz mit einzelnen Personen, sei es per E-Mail, Post oder Telefon. Und es ist vor allem dann sinnvoll, wenn sich Themen an bestimmte Zielgruppen richten, wie zum Beispiel die Anliegen des Fachbereichs Integration.
Im Integrationsbereich wird häufig diskutiert, ob die meisten Informationen wie z.B. Merkblätter übersetzt werden sollten oder ob es sinnvoller wäre, stattdessen einfachere Texte zu schreiben. Wie stehen Sie dazu?
Das kommt darauf an, wie der Ausgangstext ist. Manche Informationen sind unnötig kompliziert formuliert, vor allem in Behörden. Ich habe erlebt, dass Mitarbeitende eines Departements Texte ihrer Fachkollegen nicht mehr verstanden haben. Da kann es nicht schaden, insgesamt verständlicher zu schreiben. Wir werden in unserem Alltag mit Informationen überhäuft und müssen uns zunehmend selbst verwalten. Es ist anstrengend, wenn man sich täglich durch Informationen kämpfen muss, die in einer Fachsprache verfasst sind.
Aber sonst finde ich es nicht sinnvoll, alles pauschal zu vereinfachen. Unsere Sprache hat sich über Jahrhunderte entwickelt und differenziert, sie gehört zu unserem Denken und unserer Kultur.
Haben Sie es auch schon erlebt, dass einfache Sprache von der Zielgruppe als stigmatisierend (Reduktion der Komplexität, Absprechen der Intelligenz) empfunden wurde?
Nein, das habe ich bis jetzt noch nicht erlebt. Im Gegenteil, die Menschen freuen sich, wenn sie etwas flüssig lesen können. Wenn ich bürgernahe Texte für eine möglichst breite Zielgruppe schreibe, fällt den meisten Menschen der Unterschied zur Standardsprache nicht auf. Will ich eine bestimmte Zielgruppe ansprechen, passe ich die Schwierigkeit an, sodass die Personen Texte auf ihrem Leseniveau bekommen. Wer sich trotzdem unterfordert fühlt, kann stattdessen den Text in Standardsprache lesen.