Motivation im Zwangskontext – Gedanken zur Förderung der Motivation im Berufsbildungsalltag des Arxhofs

18.02.2022
von Patrick Zobrist

Dieser Beitrag thematisiert die sozialisationsbezogenen Zusammenhänge von Motivationsproblemen bei jungen Erwachsenen im Zwangskontext des Massnahmenvollzugs, erörtert Dimensionen von Motivation und schlägt einige Strategien zur Förderung von Motivation in der Berufsbildung (und weiteren psychosozialen Feldern) vor.

  1. Einleitung

Die Arbeit mit den im Arxhof, Massnahmenzentrum für junge Erwachsene, eingewiesenen jungen Männern findet in einem sogenannten „Zwangskontext“ statt. Die Grundlagen dafür sind rechtliche Rahmenbedingungen, Gerichtsurteile und Entscheidungen der Einweisungsbehörde. In sozialpädagogischen, therapeutischen oder bildungsbezogenen Zwangskontexten werden von den Eingewiesenen spezifische Veränderungen erwartet. Sie werden „genötigt, [...] bestimmte Lebensumstände zu erdulden und/oder bestimmte Handlungen zu vollziehen bzw. zu unterlassen [...].“ Ihnen werden „[...] die aus den Persönlichkeitsrechten erwachsenen Entscheidungs- und Handlungsfreiheiten [...] eingeschränkt.“1

Nicht nur die Eingewiesenen befinden sich in einem Zwangskontext. Auch die Mitarbeitenden der Institution, die Angehörigen und das Umfeld der Eingewiesenen sowie die Justizbehörden müssen sich mit den Strukturen des Zwangskontextes arrangieren und sind an Spielregeln gebunden. Allerdings schaffen solche Strukturen nicht nur Begrenzungen und Zwangsmöglichkeiten, sie ermöglichen gleichzeitig bestimmte Handlungen, sie schaffen neue Zugänge und Wege. Alle genannten Akteure verfügen innerhalb dieses Kontextes über bestimmte Entscheidungsspielräume.2

Viele Befunde deuten darauf hin, dass psychosoziale Interventionen in Zwangskontexten positiv wirken können.3 Ein Schlüsselthema dabei ist die Motivation der Eingewiesenen: Welche Ziele verfolgen sie? Was treibt sie an? Was ist ihnen wichtig? Sowohl die kriminologischen Wirkungsforschungen und die Evaluationen forensischer Psychotherapien als auch die Resozialisierungsforschung zeigen, dass Motivation eine relevante Dimension in strafrechtlichen Zwangskontexten darstellt und sie methodisch gezielt adressiert werden sollte, weil sie nicht vorausgesetzt werden kann.4

Im Berufsbildungsalltag können die Berufsbildner*innen im Arxhof mit vielfältigen motivationsbezogenen Themen konfrontiert sein: Verbindlichkeiten, Durchhaltevermögen, Leistungs- und Lernmotivation etc. Motivationsprobleme finden sich auch im therapeutischen Bereich (bspw. fehlende Einsicht in die Notwendigkeit der psychotherapeutischen Bearbeitung von kriminogenen Faktoren) oder im sozialpädagogischen Alltag (Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit in der Gruppensitzung oder im Training von deliktspräventiven Fertigkeiten.). Diese Schwierigkeiten sind (auch) kontextbedingt und sind in anderen psychosozialen Zwangskontexten (beispielsweise der Arbeitsintegration, in der Sozialhilfe oder im Erwachsenenschutz) weit verbreitet.

  1. Wer soll woraufhin motiviert werden?

Zunächst ist an die übergeordnete Zielsetzung zu denken: Den in den Massnahmenvollzug eingewiesenen jungen Männern sollen – so Art. 61 Abs. 3 StGB – im Arxhof „die Fähigkeiten vermittelt werden, selbstverantwortlich und straffrei zu leben.“ Im Fokus der gesetzlichen Bestimmungen steht die berufliche Aus- und Weiterbildung. Die Hauptindikation für die Anordnung einer Massnahme für junge Erwachsene ist die kriminalpräventive Bearbeitung einer problematischen Persönlichkeitsentwicklung. Bevor wir uns dem komplexen Phänomen „Motivation“ im Kontext der Berufsbildung im Arxhof beschäftigen, stellt sich die Frage, wer motiviert werden soll? Wo stehen die jungen eingewiesenen Männer in ihrem Entwicklungsprozess?

Im Zentrum des jungen Erwachsenenalters steht die Identitätsbildung: Wer will ich sein - wer soll ich sein? Wie will ich mich in die Gesellschaft eingeben? Was erwartet die Gesellschaft von mir? Identitätsbildungsprozesse geschehen im Austausch zwischen personalen und sozialen Perspektiven. Identitäten werden sozial, d.h. in Interaktionen, durch das „Tun“ der Akteure hervorgebracht und in einem fortwährenden Geschehen (implizit) ausgehandelt. Stetig verändern sich Identitäten jeweils abhängig von den sozialen Einbindungen und den damit verbundenen Entwicklungsaufgaben und Anforderungen.5

Im jungen Erwachsenenalter ist die Statuspassage in die Erwachsenenwelt zu bewältigen, die u.a. mit dem Abschluss einer Ausbildung und dem Übergang ins Erwerbsleben (oder einer weiteren Ausbildung) erfolgen soll. Allerdings ist festzustellen, dass sich diese ausbildungs- und berufsbezogenen Schritte – gesamtgesellschaftlich betrachtet – erheblich in die Phase zwischen ungefähr dem 22. und dem 26. Altersjahr verlagert haben.6 Die Zeit des Überganges vom Jugendalter, mit seinen vielen gesellschaftlichen „Zugeständnissen“, hin zum Erwachsenenalter, hat sich deutlich ausgedehnt und findet nicht mehr per Erklärung der Volljährigkeit statt.

Die genannten sozialisationsbezogenen Herausforderungen und das Entwickeln einer Identität im Kontext einer „Multioptionsgesellschaft“ mit Tendenzen zu „Wahl-„anstelle von „Normalbiografien“ erfordern für ihre konstruktive Bewältigung vielfältige Ressourcen des jungen Menschen und seines Umfeldes. Nun zeigt sich, auch in Studien aus der Schweiz,7 dass die Bewältigung dieser Statuspassage gerade für sozial benachteiligte junge Menschen (und besonders für solche mit einer familiären Migrationsgeschichte) nicht einfach zu bewerkstelligen ist, weil der Zugang oder die Aktivierung von Ressourcen beispielsweise von Problemlösefertigkeiten oder sozialer Unterstützung durch das direkte Umfeld erschwert ist. Die jungen Erwachsenen greifen deshalb auf dysfunktionale Bewältigungsmuster zurück, verlieren sich in kurzfristigen Notlösungen und neigen zu Vermeidungsstrategien.

Es gelingt ihnen manchmal nur schwer, die Anforderungen zu erfüllen, was wiederum mit geringen Selbstwirksamkeitserwartungen einhergeht.8 Die jungen Erwachsenen im Massnahmenzentrum bringen im Regelfall verschiedene biografische Belastungen mit, welche die Bewältigung dieser (ausbildungsbezogenen und beruflichen) Identitätsfindung zusätzlich erschweren: Problematische Bindungserfahrungen, schwierige Lern- und Schulbiografien und das Fehlen von Modellen in der Herkunftsfamilie.

Im Massnahmenvollzug mit jungen Erwachsenen haben diese Prozesse eine besondere Bedeutung: Einerseits besteht die institutionelle Herausforderung darin, die bisher problematische Persönlichkeitsentwicklung in konstruktiver Weise zu unterstützen und deliktspräventive pro-soziale Identitäten herausbilden zu lassen. Anderseits zeigt sich die Wichtigkeit der Berufsbildung nicht nur für die soziale Integration und die Förderung der Eigenständigkeit, sondern auch im Prozess der Distanzierung vom kriminellen Umfeld und von deliktischen Verhaltensweisen.9

Die im Berufsbildungsalltag beobachteten „Motivationsprobleme“ sind deshalb nicht nur eine Frage des Wollens, der Ideen, Perspektiven und Ziele, sondern auch eine Thematik des Könnens, der Voraussetzungen, Lernerfahrungen, d.h. vor allem der verfügbaren Ressourcen. Insofern ist Motivation nicht „alles“ und es erscheint wenig zielführend zu sein, allfällige Schwierigkeiten in der Berufsbildung als blosse „Motivationsprobleme“ zu klassifizieren.

  1. Was ist Motivation?

Bei Motivation geht es im allgemeinen Sinne darum, was Menschen antreibt, bestimmte Dinge zu tun, ihre Ziele zu verfolgen und dranzubleiben.10 Motivation ist ein komplexes Phänomen, welches emotionale, kognitive, verhaltensbezogene und interpersonale Aspekte umfasst und theoretisch/empirisch vielfältig gerahmt werden kann. Motivation und Handeln sind zudem in vielfältiger Weise miteinander verknüpft.

Motivationale Dimensionen auf der Ebene der Person sind beispielsweise die Bedürfnisregulation, die Motive und die Ziele, während die situativen Dimensionen aus Gelegenheiten und situativen (positiven und negativen) Anreizen bestehen, die wiederum miteinander verschränkt sind (man denke beispielsweise an die subjektive Bewertung von Anreizen: nicht für alle Menschen ist eine Schokolade eine Belohnung...). Die personalen und situationsbezogenen Dimensionen konstituieren Handlungen, deren Ergebnisse und Handlungsfolgen mit bestimmten Erwartungen und wiederum Bewertungen dieser Erwartungen verbunden sind.

Ein Beispiel eines Lernenden im Arxhof: „Ich mache eine EBA-Ausbildung zum Maler, weil ich denke, dass ich dann nach dem Massnahmenvollzug einfacher eine Stelle im Baugewerbe finden werde (und dies zusätzlich durch die Einweisungsbehörde positiv bewertet wird, was meine Entlassungsperspektiven begünstigen kann).“ Dieses vernetzte Geschehen von Motivation und Handeln festigt sich über Lernprozesse, d.h. positiv bewertete Handlungsfolgen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, diese Handlungen zu reproduzieren.11

„Motivation“ wird in den Diskursen unserer Leistungsgesellschaft regelmässig normativ verhandelt. Amotional erlebte Verhaltensweisen von Menschen werden eher negativ beurteilt, extrinsische Motivation bleibt „verdächtig“ und einer intrinsischen Motivation wird teilweise eine „Heilsbringung“ zugeschrieben. Verschiedene Studien konnten zeigen, dass Amotivation, extrinsische und intrinsische Motivation eher auf einem Kontinuum zu verstehen sind und die zentrale Frage v.a. die Selbstregulation und ihre Determinierung betrifft: Wie sehr ist unser Handeln durch externen Druck motiviert und wo übernehmen wir graduell eine Selbst-Determinierung? Die Übergänge sind fliessend und v.a. situativ variabel.

Auch extrinsisch motivierte Handlungen können (kurzfristig) erfolgreich sein. Das Prädikat „motiviert“ eignet sich nicht, um Menschen zu charakterisieren, weil Motivation unterschiedliche Themen, Situationen und Herausforderungen betrifft. Insofern „sind Menschen [...] immer motiviert – die entscheidende Frage ist nur: motiviert wofür?“12 Zudem sollten die Motivationsansätze bezogen auf ihrem Gegenstandsbereich differenziert werden: Arbeits- und Leistungsmotivation am Ausbildungsplatz oder Lernmotivation in der Berufsschule folgen anderen Dynamiken als eine psychosoziale Veränderungsmotivation (z.B. mit dem Cannabiskonsum aufhören zu wollen oder aggressives Verhalten zu reduzieren).

  1. Wie kann Motivation im Berufsbildungsalltag des Massnahmenzentrums unterstützt werden?

Nachfolgend sollen einige pädagogische Strategien und Techniken in Kurzform skizziert werden, die dafür eingesetzt werden können, die Motivation der Lernenden im Alltag der Berufsbildung im Kontext des Massnahmenzentrums für junge Erwachsene zu unterstützen. Darüber hinaus sind sie für weitere psychosoziale Felder anschlussfähig.

1) Selbstregulation unterstützen

Bei allen Menschen bilden sich im Verlaufe ihrer Entwicklung bestimmte kognitiv-emotionale Muster der Regulation ihrer Grundbedürfnisse heraus. Alle Menschen wollen (1) Kontrolle und Orientierung erfahren, (2) ihren Selbstwert schützen und ihn erhöhen, (3) Bindung, Beziehung und Zugehörigkeit erfahren sowie (4) angenehme Zustände anstreben und unangenehme Zustände vermeiden.13 Im Hintergrund von Motivationsprozessen steht die bedürfnisbezogene Selbstregulation der eingewiesenen jungen Menschen (und auch der Mitarbeitenden...).

Im Berufsbildungsalltag können Bedingungen dafür geschaffen werden, dass die erwähnten psychischen Grundbedürfnisse auf adäquate Weise befriedigt werden können. Der Blick auf die Selbstregulation kann manchmal erklären, weshalb Eingewiesene für destruktive Dinge „motiviert“ sind: Sie dienen auf eine dysfunktionale Weise ihrer „menschlichen“ und „normalen“ Bedürfnisregulation.14 Die Selbstregulation kann zudem in der professionellen Beziehungsgestaltung beachtet werden. Gerade diejenigen Eingewiesenen, die schwierige Bindungs- und Beziehungserfahrungen in ihrer Lebensgeschichte gemacht haben, benötigen im Berufsbildungsalltag viele Kontrollerfahrungen, die Stärkung ihres Selbstwertes, das Erfahren von Zugehörigkeit und das Erleben von Annäherungen an schwierige Situationen, um nicht wieder in alte Vermeidungsmuster zurückzufallen. Das setzt voraus, dass Berufsbildner*innen sich selbst gut regulieren können, um den Lernenden wiederum eine gelingende Selbstregulation zu ermöglichen (und sie damit indirekt zu motivieren). Dies erfordert eine Arbeitsbeziehung auf Augenhöhe, die den Eingewiesenen gewisse Spielräume lässt.

2) Motivation als Prozess denken

Veränderungsmotivation, Leistungs- und Arbeitsmotivation oder Lernmotivation sind Phänomene, die sich im Verlauf entwickeln und durch positive Lernerfahrungen verstärkt und aufrechterhalten werden können. Diese Prozesse erfolgen dynamisch und stufenförmig, wie sich das am Beispiel der Veränderungsmotivation zeigt:

  • Die stabilste Stufe einer Veränderung ist die Absichtslosigkeit. Solange die Routinen funktionieren, gibt es keinen Grund, bestimmte Dinge anders zu tun. In dieser Absichtslosigkeit finden sich häufig Abwehr und Widerstand sowie fehlende Einsicht in eine Veränderungsnotwendigkeit.
  • In einer späteren Stufe, der Absichtsbildung, können Zweifel und Ambivalenzen auftauchen, was einen Veränderungsimpuls auslösen kann. Solche Ambivalenzen können gezielt gefördert werden (bspw. mit der Technik der „motivierenden Gesprächsführung15“).
  • Nach einer Entscheidung für eine Veränderung, die häufig nicht nur rational, sondern auch in emotionalen Prozessen erfolgt, geht es in die Umsetzung mit einer Vorbereitungs- und einer Handlungsstufe.
  • Nach dem Umsetzen neuer Verhaltensweisen ist weiterhin eine Motivation erforderlich, um an den Veränderungen dranzubleiben und sie aufrechtzuerhalten.
  • Erst nach vielen Wiederholungen und positiven Erfahrungen kann sich eine Veränderung als Routine stabilisieren.16

Dieser Prozess zeigt, dass es wichtig ist zu verstehen, in welcher Stufe des Veränderungsprozesses ein Mensch steht. Fachleute neigen manchmal dazu, zu schnell voranzugehen und bereits Veränderungen zu überlegen oder vorzubereiten, obwohl die Betroffenen noch gar keine Problemeinsicht entwickelt haben. Zudem hilft ein Prozessverständnis von Motivation dabei, geduldig zu bleiben und zu akzeptieren, dass die Stabilisierung von Veränderungen wiederum Zeit und Motivation erfordert. Ein Prozessverständnis von Motivation kann die Eingewiesenen bei Misserfolgen unterstützen, dass sie nicht „zurück auf Feld 1“ müssen, sondern erleben, dass Veränderungen graduell und nicht-linear verlaufen und bei Rückschritten nicht gleich aufgegeben werden muss.

3) Übergeordnete Perspektiven entwickeln: „Wo stehst Du in zwei Jahren?“

Im Massnahmenvollzug sind viele Themen und Ziele durch den Zwangskontext vorgegeben. Die gesellschaftlichen Erwartungen (wie Rückfallfreiheit) werden deutlich artikuliert und die „Steuerung“ über Ziele und einseitige Zielsetzungen durch die Fachpersonen sind charakteristisch für solche Institutionen. Wichtig erscheint, für die übergeordneten Orientierungen, Perspektiven und Lebensziele der eingewiesenen jungen Menschen sensibilisiert zu bleiben und sie über die ihnen subjektiv wichtigen Ziele zu motivieren.

Dabei hilft es, den Lernenden Fragen zu stellen und sie zur Selbstbefragung anzuregen: „Weshalb ‚lohnt‘ sich das jetzt für mich, zum zwanzigsten Mal eine bestimmte Schweissnaht in der Metallwerkstatt nochmals zu üben, bis sie ‚sauber‘ ist? Was will ich nach meiner Zeit im Arxhof beruflich tun? Wie sieht mein Alltag nach meiner Entlassung aus der Massnahme aus? Wie stelle ich mir vor, wie ich leben will, mein Geld verdienen und meine Beziehungen pflegen möchte“, etc.?

Weil sich die jungen Menschen ausgehend von ihrem entwicklungs- und sozialisationsbezogenen Standort in einem Übergangsprozess befinden und ihre Identität in Austausch mit ihrem Umfeld entwickeln, kann es für die Stärkung der Motivation im Berufsbildungsalltag hilfreich sein, die Frage zu formulieren: „Wo stehst Du in zwei Jahren?“ Diese Spannung zwischen dem IST-Zustand und den subjektiven Perspektiven können Veränderungen anstossen, derweil das alleinige „Träumen“ von der Zukunft , ohne Abgleich mit der aktuellen Realität, „kostenfrei“ und ohne Veränderungswirkung bleiben wird.17

4) Ziele realisierbar machen und praktisches Handeln hervorrufen: Das „Tun“ motiviert!

Kleine Veränderungsschritte und Erfolgserlebnisse wirken motivierend u.a. deshalb, weil sie sich positiv auf die Überzeugung auswirken, etwas geschafft zu haben. Diese Selbstwirksamkeitserwartung entsteht durch konkretes Handeln und praktische Erfahrungen. Gerade weil Motivation und Handeln komplex miteinander verbunden sind, ist es wichtig, die jungen Männer ins Handeln zu bringen, Ziele umzusetzen und sie positive Lernerfahrungen machen zu lassen.

Die gemeinsame Skalierung der Ziele hilft dabei, unrealisierbare „Idealziele“ zu vermeiden und realisierbare Ziele zu finden. Manchmal führt es weiter, das „Idealziel“ nicht nur mit dem aktuellen IST-Zustand, sondern zusätzlich mit einer antizipierten Verschlechterung zu kontrastieren, damit die jungen Männer selber herausfinden, was realistisch sein könnte.18

Eine Möglichkeit, sich durch Handlungen und ihre (hoffentlich positiven) Handlungsfolgen zu motivieren, ist die Arbeit mit Start- und Durchhaltevorsätzen. Dabei werden spezifische Auslösesituationen und darauffolgende Handlungen zunächst vorbesprochen, danach umgesetzt und durch Wiederholungen gefestigt.19 Beispiel für einen Startvorsatz: „Immer wenn ich am Montagmorgen in die Garderobe der Gärtnerei komme, nehme ich nochmals meinen Wochenarbeitsplan zur Hand und überlege mir das heutige persönliche Tagesziel. Dann (...).“ Es geht darum, dass die Lernenden Routinen entwickeln und Dinge, die schwierig anzugehen sind, automatisieren.

5) Ressourcen aktivieren

Die Beschäftigung mit dem Phänomen „Motivation“ hat gezeigt, dass es nicht nur am „Wollen“ liegt, sondern manchmal am „Können“. Das Vermögen, gewisse Dinge zu tun, sich in anspruchsvolle Situationen, zum Beispiel im Bildungs- und Arbeitsalltag einzugeben, geht mit dem Zugriff auf Ressourcen einher. Diese sind nicht nur persönlicher Art, wie bestimmte Fertigkeiten, Kompetenzen oder Einstellungen, sondern auch sozial bestimmt. Manchmal braucht es ein unterstützendes Umfeld, positive Modelle der Berufsbildner*innen und der Mitlernenden sowie ein gutes institutionelles Klima, welches die Eingewiesenen dabei unterstützt, ihre persönlichen Ziele und gleichzeitig die Ziele des Massnahmenvollzuges wirksam umzusetzen.

Bei jungen Menschen mit Motivationsproblemen ist also nicht nur die Frage zu stellen, „was willst Du?“ sondern auch „was brauchst Du dafür?“ und „wie können wir Dir dabei behilflich sein?“ Die Ressourcen mit den Lernenden gemeinsam zu entdecken, kann zusätzlich einen motivierenden Schub geben und ihr Selbstvertrauen stärken.

  1. Schluss

Die Motivationsthematik betrifft alle Bereiche des Arxhofs: Psychotherapie, Sozialpädagogik und Berufsbildung. Gemeinsame Konzepte, wie der risikoorientierte Sanktionenvollzug (ROS), erleichtern die Zusammenarbeit der verschiedenen Arbeitsbereiche und Berufsgruppen. Die Muster der Selbstregulation der jungen Männer und ihre übergeordneten Perspektiven scheinen in allen Bereichen im Arxhof von hoher Bedeutung zu sein. Beispiel: Wenn es sich „lohnt“ eine berufliche Perspektive aufzubauen, dann „lohnt“ es sich auch, diese nicht durch erneute Delikte aufs Spiel zu setzen!20

Bestimmte Vermeidungsmuster in der Selbstregulation, die zum Beispiel psychotherapeutisch bearbeitet werden, zeigen sich vermutlich nicht nur im Berufsbildungsalltag, sondern auch auf der sozialpädagogischen Wohngruppe. In diesem Sinne sind geteilte Motivationskonzepte und der gemeinsame Fachaustausch über Motivation wichtige konzeptionelle Grundlagen der interdisziplinären Zusammenarbeit.

Zwangskontexte können „Zumutungen“ für alle Beteiligten sein: Sie schaffen Regeln, schränken Möglichkeiten ein, fordern Resultate und sind immer wieder belastend. Um die ermöglichenden Seiten dieser Strukturen zu nutzen, erscheint es wichtig, die Spielräume zu erkennen und besonders den jungen eingewiesenen Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Spielräume zu nutzen und sie dabei zum aktiven Part ihrer Entwicklungen zu machen. Dies bedingt, sie an Entscheidungen partizipieren zu lassen und ihnen die damit verbundene Verantwortung zu übergeben. Dies wiederum formt und reproduziert die Strukturen des konkreten Zwangskontextes im Arxhof. Die Motivation der Eingewiesenen beginnt somit bei der Motivation der Mitarbeitenden und liegt (auch) in den Strukturen der Institution.

Motivation ist nicht „alles“ – aber sie betrifft alle!

 

(Dieser Beitrag ist die Zusammenfassung eines Weiterbildungsnachmittags mit den Berufsbildner*innen im Arxhof zum Thema „Motivation“ im November 2021.)

 

Weiterführende Literatur:

  • Klug, W., & Zobrist, P. (2021). Motivierte Klienten trotz Zwangskontext. Tools für die Soziale Arbeit. (3. Aufl.). Reinhardt-Verlag.
  • Zobrist, P., & Kähler, H. D. (2017). Soziale Arbeit in Zwangskontexten. Wie unerwünschte Hilfe erfolgreich sein kann. (3. Aufl.). Ernst Reinhardt-Verlag.

 

Quellen:

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Verweise:

1) Kaminsky (2015, S. 6)
2) Vgl. Zobrist & Kähler (2017, S. 27)
3) Vgl. den Überblick bei Zobrist & Kähler (2017)
4) Vgl. Suhling & Cottonaro (2005); Bonta & Andrews (2017), Hofinger (2013)
5) Vgl. Hurrelmann (2012)
6) Vgl. ebd.
7) Vgl. z.B. Gül & Mey (2020), Schaffner & Drilling (2013)
8) Vgl. ebd.
9) Vgl. Stelly &Thomas (2011)
10) Vgl. Sachse, Langens & Sachse (2012)
11) Vgl. einführend Heckhausen & Heckhausen (2018)
12) Kanfer, Reincker & Schmelzer (2006, S. 59)
13) Vgl. Grawe (2004)
14) Vgl. Zobrist (2019)
15) Vgl. Miller/Rollnick (2015).
16) Vgl. das transtheoretische Veränderungsmodell (TTM) von Prochaska & Norcross (2008); Resozialisierungsprozesse lassen sich bezogen auf ihre Motivation ähnlich strukturieren (vgl. Stelly & Thomas 2011)
17) Vgl. Schwörer & Oettingen (2018)
18) Vgl. Klug & Zobrist (2021, S. 145f.)
19) Vgl. Achtziger & Gollwitzer (2009)
20) Vgl. Good lives-Model: Von Franqué/Briken (2013)

Zum Autor

Patrick Zobrist, dipl. Sozialarbeiter FH, Master of Arts in Sozialer Arbeit, Dozent und Projektleiter, Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. Nach 10 Jahren Berufserfahrung in der Bewährungshilfe und in der Vollzugsbehörde lehrt und forscht Patrick Zobrist seit 2009 an der Hochschule Luzern, u.a. zu Methoden in Zwangskontexten und zu Straf- und Massnahmenvollzug sowie Jugendstrafverfolgung. Er berät Organisationen und trainiert Praktiker*innen im Umgang mit herausfordernden Klient*innen. Aktuell arbeitet er an einer Dissertation zu „Arbeitsbeziehungen in Zwangskontexten“. 
https://www.hslu.ch/de-ch/hochschule-luzern/ueber-uns/personensuche/profile/?pid=927