Bettagsmandat 2021

Über religiöse und kulturelle Grenzen hinweg auf gemeinsame Werte besinnen

"Mein Herr und mein Gott,
nimm alles von mir, was mich hindert zu dir.
Mein Herr und mein Gott,
gib alles mir,
was mich führet zu dir.
Mein Herr und mein Gott,
nimm mich mir
und gib mich ganz zu eigen dir."
Amen

Dieses Gebet berührt und bestärkt Menschen bis heute darin, ihren Lebensweg mutig zu gehen im Vertrauen auf Gott. Es stammt von Niklaus von Flüe oder Bruder Klaus (1417–1487). Im Oktober 1467 verabschiedete er sich von seiner Familie in Flüeli und begab sich auf eine Pilgerreise – besonders weit kam er jedoch nicht. In der Nähe von Liestal hatte er eine so eindringliche Vision, dass er umkehrte und sich in der Ranftschlucht, ganz in der Nähe seines Wohnorts, als Einsiedler niederliess. In seiner Klause vertiefte er sich ins Gebet und soll immer wieder Visionen gehabt haben. Es war seine Berufung, dort als Einsiedler, Asket und Mystiker zu leben. Noch heute beeindruckt die Geschichte von Bruder Klaus die Menschen und darum suchen sie den Ort, wo Klaus lebte, auch immer wieder auf. Wahrscheinlich ist es die Reduktion auf das Einfache, das Ursprüngliche und das Wesentliche, welches die Faszination für Bruder Klaus gerade heute ausmacht. In einer Zeit, in der wir insgesamt im Überfluss leben.

Die Schweiz hat unterschiedliche Krisen in der Vergangenheit nach dem Vorbild von Bruder Klaus immer ruhig, besonnen, vorausschauend, mit klarem Verstand und Augenmass bewältigt. Die grosse Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger vertraut dem Bundesrat und den kantonalen Regierungen – und das ist in Krisenzeiten besonders wichtig. Nur durch Zusammenhalt und Einigkeit können aussergewöhnliche Lagen bewältigt werden. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte die Schweiz nicht nur zwei Weltkriege, sondern auch eine Zwischenkriegszeit, die eine schwere Wirtschaftskrise und grosse politische Verunsicherung brachte. Obwohl die Schweiz zweimal vom Krieg verschont blieb, wurde die Entwicklung im Innern aussergewöhnlich stark von den politischen Ereignissen im Ausland beeinflusst.

Beeinflusst hat uns in den vergangenen Monaten ebenfalls eine Bedrohung, die unerwartet von aussen zu uns gekommen ist. Die Massnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise haben das wirtschaftliche, gesellschaftliche, politische und kulturelle Leben in der Schweiz auf einen Schlag radikal verändert. Die Bewältigung des Corona-Virus hat einiges von uns als Gesellschaft abverlangt. Wir mussten uns wie wohl noch nie vorher in unserem Leben an einengende Vorschriften und Auflagen halten. Die Diskussionen um Sinn und Unsinn dieser Massnahmen hat Freundschaften auf die Probe gestellt oder – im Extremfall – sogar zerbrochen.

Der Bettag hat in der Schweiz eine lange Tradition. Die Nation sollte damit einmal im Jahr zur gleichen Stunde im Gebet zu Gott und für das Vaterland geeint werden. Auch heute noch soll der Bettag daran erinnern, dass die Schweiz auf einer Wertegrundlage fusst. Der Feiertag wird heute interreligiös gelebt und lädt die gesamte Gesellschaft dazu ein, innezuhalten, sei es im Gebet oder auf individuelle andere Weise. Besondere Dringlichkeit erhielt der Bettag in Zeiten von Krisen und grosser Not. Darüber hinaus erfüllt er eine wichtige staatspolitische Aufgabe. Er will die Menschen aller Landesteile, Sprachen und Kulturen, aller Religionen und Konfessionen, zusammenführen. Er will die Hochachtung und den Respekt vor den politisch und konfessionell Andersdenkenden fördern und stärken. Einheit in Vielfalt macht unser Land lebenswert und stark. Das ist möglich auf der Grundlage gemeinsamer Werte.

Im Laufe der Geschichte hat sich der Bettag in Bedeutung und Inhalt stets verändert und dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen gewusst, nicht zuletzt durch die Bettagsmandate, die immer den Bezug zur Gegenwart herstellten. Eines aber ist konstant geblieben: Der Bettag erschöpft sich nicht in frommem Brauchtum. Er beansprucht Öffentlichkeitscharakter, hat eine politische Dimension. Angesichts des Diskurses um die Rolle von Kirchen und Religionen in der säkularen Gesellschaft, erweist er sich als bleibend aktuell. Es macht auch heute noch Sinn, wenn das Land seinen Bewohnerinnen und Bewohnern einmal im Jahr einen Halt anbietet, damit sie sich über religiöse und kulturelle Grenzen hinweg auf gemeinsame Werte und Orientierungspunkte besinnen und verständigen.

Der Dank-, Buss- und Bettag bietet uns allen, egal ob im christlichen Glauben verankert oder nicht, Anlass und Gelegenheit, bewusst inne zu halten und in der Hektik des Alltags Ruhe zu finden. Freuen wir uns heute und auch sonst an Freundschaften, am Leben, an der Geselligkeit und an der wunderschönen Natur. In diesem Sinne wünsche ich allen Baselbieterinnen und Baselbietern einen erfreulichen Dank-, Buss- und Bettag.

Im Namen des Regierungsrats
Thomas Weber, Regierungspräsident
Elisabeth Heer Dietrich, Landschreiberin