Rituelles Händewaschen mit einem Hirsch

Reto Marti ist Kantonsarchäologe und Leiter der Hauptabteilung Archäologie und Museums im Amt für Kultur. Wir haben ihn nach seinem Lieblingsobjekt unter allen Fundstücken im Kanton gefragt. Seine Antwort fördert ein Behältnis in Form eines Hirschs zu Tage, dessen Ursprung in der arabischen Welt liegt und das dank modernster Computertechnik wie Phönix aus der Asche auferstanden ist.

Ein Kantonsarchäologe, nach seinem Lieblingsobjekt gefragt, hat die Qual der Wahl. Sie fällt heute auf ein Objekt, das schon zu seiner Zeit sehr kostbar war: ein so genanntes Aquamanile, ein Handwaschgefäss aus dem Mittelalter. Es damit einfach zum «Vorläufer des Wasserhahns» zu degradieren, wäre allerdings zu kurz gegriffen! Die Vorbilder für diese exklusiven Behältnisse kommen aus der arabischen Welt. Sie dienten dem rituellen Händewaschen, sowohl in der religiösen Praxis als auch an der gehobenen Tafel.

Schon die Form ist speziell. Das schwere Bronzegefäss hat die Gestalt eines Hirschs, eines Achtenders mit vorgewölbter Brust, gespannten Hinterläufen und zottigem Fell. In seinem Nacken sitzt eine Schlange. Sie bildet den Griff der Kanne. Der Hirsch mit seinem himmelwärts strebenden Geweih galt im Mittelalter als Sinnbild Christi – die Schlange, die teuflische Versucherin, als sein grösster Feind. Doch auch ganz profan, als Jagdtrophäe, spielte das edle Hochwild eine wichtige Rolle im Leben der Ritter. Wie so oft im Mittelalter vermischen sich die Welten.

Stilistische Details sprechen für eine Entstehung um 1230/40 in Hildesheim, damals ein herausragendes Zentrum der Bronzegiesserkunst. Die weite Herkunft und die aufwendige Herstellung machen klar, dass sich nur gehobene Gesellschaftskreise etwas derart Wertvolles leisten konnten. Dazu passt, dass es gar nicht richtig zu nutzen war ohne Dienstpersonal, das einem das Wasser über die Hände goss und in einem ebenso edlen Becken wieder auffing.

Nicht nur das Objekt ist speziell, sondern auch seine Überlieferung: um 1320 stand es auf einem Kachelofen in der Burg Scheidegg bei Gelterkinden. Eine Feuersbrunst zerstörte den Adelssitz, und mit ihm den Ofen und das kostbare Gefäss. Erst 1970/71 wurde es bei Ausgrabungen wiederentdeckt. Verbeult, zerbrochen und in Teilen geschmolzen hatte es viel von seiner ursprünglichen Pracht verloren. Lange Zeit schlummerte es deshalb nahezu unbemerkt in den Depots von Archäologie und Museum Baselland. Erst moderne Computertechnik hat es wieder auferstehen lassen, in einem ersten Schritt virtuell am Bildschirm, anschliessend als Nachbau der Kunstgiesserei Sankt Gallen – Phönix aus der Asche, sozusagen.

Ausgestellt ist das gute Stück – wie so viele andere spannende Funde aus dem Baselbiet – derzeit nicht. Aber man kann es auf der Website der Archäologie Baselland besichtigen, im Original und als Replikat, dreidimensional und mitsamt dem Fundkontext.


Text: Reto Marti, Leiter Archäologie und Museum Baselland, Kantonsarchäologie

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Reto Marti, Leiter Archäologie und Museum Baselland, Kantonsarchäologie
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Aquamanile (Foto: Tom Schneider)
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Zeichnung Aquamanile (Foto: Sarah Schäfer)