Neues Rahmengesetz zur Stärkung der Behindertenrechte

Am 24. August 2022 hat BKSD-Vorsteherin Monica Gschwind der Öffentlichkeit ein neues kantonales Behindertenrechtegesetz (BRG BL) vorgestellt, das die Rechte von Betroffenen stärkt und Private vor unverhältnismässigen Forderungen schützt. Der Kanton nimmt sich damit in verschiedenen Bereichen stark in die Pflicht. Das Beispiel der Römerstadt Augusta Raurica zeigt auf, wie in den Kulturinstitutionen Ansprüche aus dem BRG BL umgesetzt werden können oder bereits umgesetzt werden.

Das nun vorliegende BRG BL geht zurück auf die 2017 von einem Komitee aus Betroffenen und Unterstützerinnen und Unterstützern eingereichte Verfassungsinitiative «Für eine kantonale Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen» mit der Zielsetzung, den Rechtsanspruch von Menschen mit Behinderungen auf Zugang zu allen Lebensbereichen in der kantonalen Gesetzgebung zu verankern. Das Bundesgesetz über die Behindertengleichstellung (BehiG) sowie die UNO-Behindertenrechtekonvention (UN-BRK) waren zu jenem Zeitpunkt bereits in Kraft bzw. ratifiziert und somit auch für den Kanton Basel-Landschaft verbindlich.

Projektvorgehen mit Modellcharakter
Der Regierungsrat entschied sich deshalb auf Basis einer gründlichen juristischen Analyse dafür, dem politisch unbestrittenen Anliegen nach verbesserter Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an allen Facetten des gesellschaftlichen Lebens in Form eines Rahmengesetzes Rechnung zu tragen. Dieses konkretisiert die Rechtsansprüche von Betroffenen und legt das Verfahren zu deren Durchsetzung fest. Mit diesem Fokus in der Gesetzgebung auf die konkrete Umsetzung geht es über die von der Initiative geforderte Verankerung der Behindertengleichstellung in der Kantonsverfassung hinaus.

Das BRG BL wurde unter der Projektleitung von Stefan Hütten (Leiter AKJB) und Einbezug des ausgewiesenen Experten für Fragestellungen der Behindertenrechte Prof. Dr. Markus Schefer sowie unter Mitwirkung von Schlüsselpersonen aus allen Direktionen erarbeitet. Ebenso wurde sichergestellt, dass über Workshops und den Projektfachausschuss die Perspektive von Betroffenen wie auch von Gemeindevertretungen kontinuierlich in den Prozess einfliessen konnte. Das gewählte Projektvorgehen war derart vorbildlich, dass es ausführlich im Leitfaden des Bundes für die Erarbeitung einer behindertenrechtlichen Gesetzgebung beschrieben wird.

Rechtssicherheit für Gemeinwesen, Private und Betroffene
Unter Berücksichtigung von Bundes- und Völkerrecht definiert das BRG BL die für den Kanton massgeblichen Grundsätze der Behindertengleichstellung und beachtet insbesondere die Verhältnismässigkeit und den Interessensausgleich zwischen Menschen mit Behinderungen und Trägern öffentlicher Aufgaben bzw. Anbietern von öffentlich zugänglichen Leistungen. Die Rechte von Menschen mit Behinderungen in einzelnen Lebensbereichen werden in den betreffenden Spezialgesetzen geregelt. Die Gemeinden sind dazu verpflichtet, die Umsetzung des BRG BL für ihren Zuständigkeitsbereich in einem Reglement zu konkretisieren. Für die Koordination und Kontrolle der etappierten Umsetzung des BRG BL wird eine kantonale Anlaufstelle geschaffen.

Viele der vorgesehenen kantonalen Massnahmen in Bezug auf politische Mitwirkung, Zugang zu Informationen, Mobilität, Bauen und Wohnen sowie kulturelle Teilhabe kommen auch älteren Menschen, Familien oder Personen mit Migrationshintergrund zugute: Rampen, breitere Lifteingänge, tiefer angebrachte Knöpfe bringen Verbesserungen für Menschen mit eingeschränkter Mobilität ebenso wie für Eltern mit Kinderwagen, Senioren oder Kinder. Informationsmittel, die verschiedene Sinne aktivieren oder eine einfache Sprache verwenden, sind sowohl für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen als auch für Fremdsprachige und für Kinder besser verständlich. Das BRG BL schafft so die Grundlage für eine verbesserte Inklusion eines beträchtlichen Anteils der Baselbieter Bevölkerung.

Augusta Raurica geht bei Inklusion voraus
Ein wichtiges Entwicklungsfeld für den Kanton ist die möglichst umfassende Erschliessung und Vermittlung kultureller Angebote für Menschen mit Behinderungen. Die Römerstadt Augusta Raurica denkt die Bedürfnisse von Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen bei der Gestaltung von Anlagen, Ausstellungen und weiteren Angeboten seit Jahren konsequent mit und trägt seit 2018 das Label «Kultur inklusiv» der Behindertenorganisation Pro infirmis. Daher kann sie ihre vielfältigen Erfahrungen mit anderen kulturellen Einrichtungen und Verwaltungseinheiten des Kantons teilen und die Umsetzung der geplanten Massnahmen aus dem BRG BL aktiv unterstützen.

Regierungsrätin Monica Gschwind hielt fest: «Der Wunsch von Menschen mit Behinderungen auf ein selbstverantwortliches Leben stösst bei mir auf grosse Resonanz. Das BRG BL ist ein wichtiges Signal und schafft die Grundlage für einen verbesserten Zugang zu allen Lebensbereichen. Deshalb hoffe ich, dass es 2024 als eines der ersten umfassenden kantonalen Gesetze zur Behindertengleichstellung in Kraft tritt. Auf dem Weg hin zur gelebten Inklusion sind wir aber alle gefordert.»


Das BRG BL in Kürze

Benachteiligungsverbot: Menschen mit Behinderungen und Personen, die mit ihnen in einem besonderen Näheverhältnis stehen, dürfen weder von Gemeinwesen noch von Privaten benachteiligt werden. Benachteiligungen müssen aktiv verhindert, beseitigt oder vermindert werden. Für Gemeinwesen gelten hingegen strengere Massstäbe als für Private.

Fördermassnahmen: Kanton und Gemeinden sind dazu verpflichtet, die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an allen Lebensbereichen aktiv zu fördern. Bei der Erarbeitung und Umsetzung von geeigneten Massnahmen sind Betroffene einzubeziehen.   

Zugänglichkeit und Kommunikation: Leistungen von Gemeinwesen und Privaten müssen für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen zugänglich sein. In der Information ist auf besondere Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen.

Verhältnismässigkeit: Die Rechtsansprüche von Menschen mit Behinderungen gelten nicht uneingeschränkt. In begründeten Fällen können öffentliche oder private Interessen die Ansprüche von Betroffenen überwiegen. Dabei werden Aspekte wie Umweltschutz, Betriebssicherheit, Ausweichmöglichkeiten oder wirtschaftliche Zumutbarkeit besonders gewichtet.

Kantonale Anlaufstelle für Behindertenrechte: Die Anlaufstelle koordiniert und überwacht Massnahmen von Kanton und Gemeinden zur Umsetzung des BRG BL. Sie stellt den Austausch mit Behindertenorganisationen sicher, berät die Verwaltung und unterstützt den Regierungsrat bei der periodischen Setzung von Schwerpunkten.



Text und Fotos: Fabienne Romanens, Leiterin Kommunikation BKSD

Bild Legende:
Stefan Hütten (Leiter AKJB), Regierungsräting Monica Gschwind und Dani Suter (Leiter Augusta Raurica) vor einer der insgesamt drei Tasttafeln, die Augusta Raurica speziell für Menschen mit einer Sehbehinderung entwickelt hat.