Weiterentwicklung der Gymnasialen Matur: Vernehmlassung eröffnet
Vor ein paar Wochen war es wieder einmal soweit: mehreren hundert Schülerinnen und Schüler der Baselbieter Gymnasien rauchten die Köpfe und schmerzten die Finger. Fünfmal vier Stunden mussten sie sich zuerst durch die schriftlichen und dann durch die mündlichen Maturaprüfungen kämpfen. Als schweizerische Besonderheit steht allen erfolgreichen Maturandinnen und Maturanden ein prüfungsfreier Zugang für praktisch alle Studiengänge an Schweizer Universitäten offen. Dieser grundsätzlich prüfungsfreie Hochschulzugang ist der Lohn für die im internationalen Vergleich äusserst breit gefächerte Maturität, deren Bestehen von den Maturandinnen und Maturanden ein umfassendes Wissen und vielseitige Kompetenzen erfordert.
Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) hat sich bereits 2016 zum prüfungsfreien Hochschulzugang bekannt. Entsprechend wurden verschiedene Anstrengungen unternommen, um die hohe Qualität der gymnasialen Bildung zu sichern und den prüfungsfreien Zugang zu den Universitäten weiterhin zu gewährleisten. 2018 wurde deshalb von der EDK und dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) das Projekt «Weiterentwicklung der Gymnasialen Maturität» (WEGM) lanciert. Im Mai dieses Jahres haben nun die EDK und das WBF einen Vorschlag in die Vernehmlassung gegeben, zu dem die Kantone bis Ende September Stellung nehmen können. Die Inkraftsetzung der grundlegenden Anerkennungsvorgaben für die Maturität, also das Maturitätsanerkennungsregelment (MAR) und die Maturitätsanerkennungsverordnung (MAV), ist auf den August 2024 geplant. Sofern dieser Zeitplan eingehalten wird, würden im Baselbiet nach einer Übergangsfrist die ersten Schülerinnen und Schüler ab dem Schuljahr 2027/28 nach den neuen Grundlagen ausgebildet.
Was bedeutet das konkret? Und was soll sich mit dem zur Vernehmlassung eingereichten Vorschlag ändern? Die nachfolgende Übersicht fasst die wichtigsten Punkte zusammen.
Wesentliche Änderungen gemäss Vernehmlassungsvorlage:
Ausbau der Grundlagenfächer
Zusätzlich zu den bisherigen Grundlagenfächern sollen die beiden obligatorischen Fächer Wirtschaft und Recht sowie Informatik zu den Grundlagenfächern zählen. Auch Philosophie und Religionen können als Grundlagenfach geführt werden.
Erweiterung der Wahlmöglichkeiten
Im Wahlbereich sollen ebenfalls neue Fächer hinzukommen. So werden die Fächer Informatik, Geschichte und Geografie, Theater, Religionen sowie Sport als neue Schwerpunktfächer (SPF) vorgeschlagen. Im Bereich der Ergänzungsfächer (EF) sind ebenfalls zusätzliche Fächer möglich. Die Wahleinschränkungen für die SPF Musik und Bildnerisches Gestalten sollen wegfallen. Mit diesen Änderungen soll die Studierfähigkeit gestützt werden.
Wichtigere Abschlussprüfungen und verschärfte Bestehensnormen
Im Bereich der Abschlussprüfungen werden Varianten in die Vernehmlassung gegeben. Während eine Variante weiterhin fünf schriftliche Abschlussprüfungen vorsieht, erweitert die zweite Variante die Anzahl der schriftlichen Prüfungen. Im Kanton BL wurden bisher Deutsch, Französisch, Mathematik, das SPF und das EF/Englisch geprüft. Neu wären es Deutsch, Französisch, Mathematik, ein Fach aus dem naturwissenschaftlichen Bereich und ein Fach aus dem sozial- und geisteswissenschaftlichen Bereich.
Ebenfalls zur Diskussion gestellt wird eine Verschärfung der Bestehensnormen. Bisher dürfen vier von 13 Maturnoten ungenügend sein. Diese müssen jedoch doppelt kompensiert werden. Als Variante wird vorgeschlagen, dass zusätzlich nicht mehr als zwei Prüfungsnoten ungenügend sein dürfen, welche darüber hinaus doppelt durch die anderen Prüfungsnoten kompensiert werden müssen. Mit diesen Änderungen soll die Vergleichbarkeit der Abschlüsse erhöht werden.
Die Vorlage sieht noch weitere Änderungen vor, die teilweise jedoch nur technischen Charakter haben. Eine Übersicht über die Vorlage findet sich hier: https://matu2023.ch/de/vernehmlassung
Der Kanton Basel-Landschaft anerkennt grundsätzlich den Reformbedarf der über 20 Jahre alten Rahmenvorgaben, hält aber gleichzeitig am erfolgreichen Baselbieter Modell mit seiner Möglichkeit zur Vertiefung und Individualisierung gegen Ende der Ausbildung fest. Das bisherige System bereitet die Jugendlichen äusserst erfolgreich auf ein Studium vor. Entsprechend möchte der Kanton den kantonalen Spielraum möglichst erhalten.
Sobald klar ist, welche Änderungen tatsächlich auf das Gymnasium zukommen, werden sich bis zur definitiven Einführung weitere Fragen stellen: Inwiefern ist das bestehende System mit den neuen Leitplanken kompatibel? Welche neuen Optionen sollen im Baselbiet umgesetzt werden? Sollen bestehende Optionen gestrichen werden?
Mit anderen Worten: die grosse Arbeit wird erst nach der Vernehmlassung starten. Die künftige Ausgestaltung des gymnasialen Bildungswegs muss auf der klaren Analyse des Status Quo basieren. Nur so können pädagogisch und organisatorisch sinnvolle Lösungen skizziert werden.
Zumindest im Moment sieht es danach aus, dass die Schülerinnen und Schüler auch in Zukunft mehrfach über Abschlussprüfungen brüten müssen. Inwiefern die Aufgabenstellungen den heutigen gleichen werden, hängt aber weniger von MAR/MAV ab, als vielmehr von anderen Entwicklungen: zum einen von der Anpassung der Rahmenlehrpläne – ebenfalls ein Teil des Projekts WEGM – sowie von der allgemeinen Entwicklung der Schulen. Eines bleibt sicher: Die Freude über eine erfolgreiche Maturität wird auch in zehn Jahren mindestens gleich gross sein, wie bei den Schülerinnen und Schülern, die ihre Zeugnisse Ende Juni erhalten.