«Musighanneli»: die Volksmusik-Sammlerin Hanny Christen
«Musighanneli»: die Volksmusik-Sammlerin Hanny Christen
Hanny Christens Sammlung gilt als einer der grössten musikgeschichtlichen Schätze des Alpenraums. Die Ausstellung «Musighanneli» im Museum.BL beleuchtet das Werk der Liestalerin (1899–1976), das vor zwanzig Jahren publiziert wurde und so den Weg zurück auf die Schweizer Tanzbühnen fand.
Hanny Christen hat der Schweizer Volksmusikszene eine Sammlung von unschätzbarem Wert hinterlassen: über 11’000 Instrumentalstücke sammelte die Liestalerin, auch «Musighanneli» genannt, in den Jahren 1930 bis 1960. Sie dokumentierte bei Bauern und Musikanten in der ganzen Schweiz Noten und Tänze und schuf damit eine Sammlung, die in Umfang und Bedeutung einzigartig ist. Hanny Christen war von der Vision angetrieben, die Schweizer Volksmusik in ihrer Ursprünglichkeit niederzuschreiben und in ihrer ganzen Vielfalt zu bewahren. Zuerst im Baselbiet und ab 1940 schweizweit reiste Hanny Christen mit Zug, Postauto und zu Fuss in die entlegensten Dörfer und fragte sich aufs Geratewohl durch. So lernte sie Bauern kennen, die ihr alte Stücke vorspielten. Sie notierte sich das Gehörte, kopierte die Noten von Musikanten und verschriftlichte und ordnete diese, sobald sie jeweils zurück in Basel war.
Leidenschaftliche Sammlerin
Das Sammeln von Volkstänzen und -liedern war für Hanny Christen eine Lebensaufgabe. Obschon sie ausgebildete Kindergärtnerin war, durfte sie nicht berufstätig sein. Sie stammte aus einer Baselbieter Industriellenfamilie, «Beton-Christen» aus Muttenz, und es schickte sich nicht, dass eine Frau aus gutbürgerlichem Haus einer Erwerbsarbeit nachging. So wurde das Sammeln von Volkmusik für Hanny Christen zu einer Leidenschaft. Nebst Tänzen und Liedern sammelte sie auch volkskundliche Betrachtungen wie Bräuche und Sagen. Ihr umfangreicher Nachlass wird heute im Staatsarchiv Basel-Landschaft bewahrt.
Sensationsfund: Sammlung Hanny Christen
Hanny Christens Werk fand zu Lebzeiten nicht die verdiente Anerkennung. Zwar war das «Musighanneli» in der Volksmusikszene bekannt, doch als Person, die dezidiert ihre Ansichten äusserte und eine klare Vorstellung davon hatte, wie Volksmusik klingen musste, eckte Hanny Christen häufig an. In Wissenschaftskreisen wollte man ihre volkskundlichen Schriften nicht wirklich gelten lassen und nach mehr als zwanzig Jahren eifrigster Sammeltätigkeit gab Hanny Christen in den frühen 1960er Jahren resigniert auf.
Sie übergab ihre ganze Sammlung der Universitätsbibliothek Basel, wo sie lange unberührt im Keller lagerte. 1991 entdeckte der Schweizer Musiker und Komponist Fabian Müller Hanny Christens Werk und erkannte es als Sensationsfund. Aussergewöhnlich war, dass eine einzige Person derart viele Stücke aus fast allen Kantonen der Schweiz zusammengetragen und ein solch umfassendes Abbild der Schweizer Volksmusik in ihrer Vielfalt geschaffen hatte.
Während rund zehn Jahren bearbeiteten und editierten Fabian Müller und sein Team Hanny Christens Sammlung und publizierten vor zwanzig Jahren die elfbändige «Schweizer Volksmusik-Sammlung». Diese gilt als das Standardwerk der Schweizer Volksmusik und als einer der grössten musikgeschichtlichen Schätze des Alpenraums. Zudem ehrt das Bundesamt für Kultur die Volksmusiksammlung Hanny Christen mit dem diesjährigen Spezialpreis für Musik, Preisträger ist der Mülirad-Verlag, der die Sammlung publizierte. Die «Schweizer Volksmusik-Sammlung» ist in der Ausstellung «Musighanneli» im Museum.BL zu sehen.
Musik und Tanz: die Ausstellung «Musighanneli»
Die Ausstellung gibt zum ersten Mal einen Einblick in die umfangreiche Sammlung von Hanny Christen. «Musighanneli» zeigt anhand von Originaldokumenten, wie die Liestalerin auf ihren Reisen beim Sammeln vorging. Dazu ist die Ausstellung eine Spurensuche nach der Person, die diesen Schatz von über 11'000 Volksmusikstücken zusammentrug. Denn Privates ist über das «Musighanneli» nur wenig bekannt. Es kommen Menschen zu Wort, die sich intensiv mit Hanny Christen beschäftigt haben, wie etwa Fabian Müller, der Wiederentdecker der Sammlung, oder die Musikethnologin Silvia Delorenzi-Schenkel, die die umfangreichen Tonaufnahmen von Hanny Christen wissenschaftlich aufgearbeitet hat.
Eine digitale Jukebox lässt verschiedene Volksmusik-Formationen aufspielen, die sich von Hanny Christens Noten inspirieren lassen und zeigt auf, wie gross ihr Einfluss auf zeitgenössische Musikschaffende ist. Denn neben eher traditionell gespielten Tänzen sind auch neue, experimentelle oder jazzartige Stücke zu hören. Auf einem Tanzboden können sich die Besucherinnen und Besucher selbst im Volkstanz versuchen, in einem per Videoscreen angeleiteten Tanzkurs einen klassischen Paartanz erlernen oder die Schritte zu einem modernen Line Dance einstudieren.
Text: Daniela Rohr, Leiterin Öffentlichkeitsarbeit Museum.BL